Lebkuchenbacken: Pekmez ist der neue Exportschlager für meine Schweizer Freunde. Fotos: Ruth Bossart
Ich mag Neues und Unbekanntes. Darum bestelle ich gerne im Restaurant eine Speise, von der ich nicht weiss, was auf dem Teller erscheint. Exotisch und schön muss es klingen. So wie Trippa, vor 25 Jahren auf einer Italienreise. Es gibt nur ganz Weniges, das ich nicht essen kann. Wirklich nicht. Dazu gehören nebst Emmentaler auch Kutteln.
Unter dem Strich habe ich mit dieser wagemutigen Bestelltechnik allerdings viel mehr Tolles entdeckt als dass ich heimlich in der Serviette entsorgen musste. Vor allem in Asien - aber nicht nur dort: Grillierte Insekten, die ich als solche nicht erkannt habe, Schlangenfleisch und einen speziellen türkischen Kebab, den ich die ersten fünf Male völlig falsch gegessen habe, bis mir ein Kellner zeigte, wie man die Zutaten richtig mischt und ins Fladenbrot wickelt.
Unbekannte Produkte lade ich auch gerne bei meinen Einkäufen im Supermarkt in den Wagen. Und auf dem Markt versuche ich jeweils, ein Gemüse oder eine Frucht zu erstehen, die ich nicht kenne. Manchmal kann ich bereits am Stand klären, ob man dieses Ding schälen, kochen oder sonst wie behandeln muss, bevor man es essen kann. Mit der Google-Translate-App und Smartphonebildern radebreche ich mit dem Bauer und seinem Sohn, der jede Woche mit den Waren, die er gerade geerntet hat, auf einen der zahlreichen Istanbuler Quartiermärkte fährt.
In der Zwischenzeit habe ich ein paar Sprach-Brocken gelernt, auch mit den Massen komme ich inzwischen klar. Meistens jedenfalls: Gerade gestern ist es mir aber wieder passiert, dass ich statt einer Tranche Geisskäse einen ganzen Block erhalten habe. Natürlich könnte ich protestieren, auf einer Tranche bestehen. Doch irgendwie ist mir das peinlich, denn eigentlich ordert hier keiner nur eine Scheibe Käse. So wie auch kaum jemand ein halbes Kilo Tomaten kauft. Üblich sind fünf Kilo oder mehr. Zudem weiss ich, dass meine Nachbarin Neslihan bestimmt eine Idee hat, was ich mit so viel weissem Frischkäse machen kann.
Als wir noch in Japan wohnten, war dies alles etwas schwieriger. Zum einen hatte ich keine Nachbarn, die sich mit mir unterhalten konnten und erklärend zur Seite standen. Zudem war ausgeschlossen, dass ich die Aufschriften der japanischen Packungen lesen konnte: Keine Ahnung, ob das, was da vor mir im Regal stand, süss, sauer, salzig oder bitter war. Ob man es kalt essen kann oder ob es gekocht werden muss. Ich erinnere mich genau, als ich voll freudiger Erwartung Natou gekauft hatte. Was aussah wie feiner Linsensalat stellte sich als fermentierte Soyabohnen heraus, Fäden ziehend und mit einem Geruch, der jeden Appenzeller oder Epoisses auf die Plätze verweist.
Hier in der Türkei sind die Hürden niedriger und die Kochtraditionen liegen nicht so weit auseinander. Milch und Joghurt sind weitverbreitet und was in der Schweiz Pizza heisst, nennt sich am Bosporus Pide und schmeckt genau so lecker.
Kreativität ist aber auch hier gefragt, wenn ich Lebensmittel möchte, die es hier eigentlich nicht gibt. Kalbsfleisch, Tofu, Quark, Dinkelmehl für meinen Zopf oder Sauerrahm, um zum Beispiel einen Lebkuchen zu backen. Der Rahm sollte so richtig sauer sein, heisst es in meinem alten Rezept aus dem Luzerner Hinterland. Und Birnenhonig ist auch nötig, 500 g. Verschiedene Fehlkäufe und -Versuche später habe ich entdeckt, dass ein Dicksaft aus Trauben, den die Türken mit Tahine mischen und sich zum Frühstück aufs Brot schmieren, den Birnenhonig gut ersetzt. Ein derart exzellenter Lückenbüsser – finden meine Schweizer Freunde und Verwandte, dass ich inzwischen um die Weihnachtszeit herum regelmässig Pekmez, diesen Traubendicksaft, in die Schweiz exportiere.
Ruth Bossart
Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.
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