Game of Thrones. Oder: Von Drachen, Räubern, Zauber und Liebe
«Winter’s coming», sagen sich die Bewohner der sieben Königreiche während der siebten Staffel von Game of Thrones. Jetzt, am Ende dieser vorletzten Staffel haben das alle begriffen, nicht nur die Wächter der Mauer, Jon Snow, die Starks, die wussten es schon Ende der sechsten Staffel. Auch weiter südlich ist man sich einig. Gemeint ist nicht der Winter, wie wir ihn kennen. Nein, der Winter in diesen Welten ist gross, irgendwie absolut, niemand weiss, wie lange er dauert, ein paar Monate, oder mehrere Jahre. Da, in der Welt der sieben Königreiche, der Drachen und untoten White Walkers bringt der Winter nicht nur Kälte und Dunkelheit, er bringt auch Krieg. Jetzt werden Bündnisse gemacht, es wird vorbreitet, geplant, aufgerüstet. Die Protagonisten stellen sich die Gewissensfrage – bin ich auf der richtigen Seite? Wem kann ich meine Loyalität geben? Die Sache mit der richtigen Seite ist jedoch nicht so kompliziert, da zu guter Letzt nur noch die grosse, letzte Schlacht gegen eben jene erwähnten Untoten zu schlagen ist. Diese verkörpern – wie die Orks und Sauron von Mittelerde – das Böse. Das vereinfacht die Dinge. So ist es auch unmöglich Vergleiche zur realen Welt zu ziehen. Gott sei Dank. Man müsste glatt THAAD (Terminal High Altitude Area Defense) mit feuerspeienden Drachen vergleichen, fanatische Herrscherinnen in fantastischen Roben mit kommunistischen Herrschern, solchen von westlichen Supermächten oder mit neuen Kräften im Bundestag. Das wäre etwas absurd.
Die Welt ist im Umbruch, aber das ist sie immer. Diese Dinge geschehen – und auch das tun sie immer – mehr oder weniger weit weg von mir. Ich bin nicht wirklich betroffen. Und so kümmere ich mich lediglich um meinen eigenen Kram. Das funktioniert dann aber auch nicht ganz, denn ich bin keine, die sich nur um den eigenen Kram kümmern will. Ich will interessiert sein, mehr noch, ich möchte von mir wissen, wie ich zu den Dingen stehe. Zu dem, was um mich herum geschieht, zum Weltgeschehen – zumindest zu einem kleinen Teil davon. Ich möchte von mir wissen, wie betroffen ich bin, ob ich Seiten wähle und wenn, welche. Ich rüste mich. Ich wäge ab. Und natürlich bilde ich mir dann Meinungen, lediglich gestützt auf meine eigenen Erfahrungen, urteile, ohne wirklich genug über die Verurteilten zu wissen. Aber sei’s drum.
Was mich dabei immer wieder mit wohltuendem Erstaunen beruhigt ist, dass es diese Rüstung gibt; Informationen, Argumente, Meinungen, Haltungen. Und es gibt noch mehr. Was wirklich hilft, mich in jene Menschen hineinzuversetzen, welchen das Weltgeschehen passiert, also mir hilft mich für dieses Geschehen zu rüsten, ist etwas anderes. Es sind Geschichten. Sie sind das, was mich wirklich rüstet für die Auseinandersetzung mit der Welt und ihren vielen Seiten. Game of Thrones, dessen Vorgänger, die grossen Geschichten, die Klassiker, davor die Epen, griechisch, römisch, Sanskrit und dann deren Vorgänger, Sagen, Mythen, Märchen, gesungen oder erzählt. Da lerne ich etwas anderes über das Leben, eine andere Wahrheit, als die, die mir geschieht. Da gibt es diese grossen Gefühle und Eigenschaften, die mir eher selten passieren, Entbehrung und Resilienz, Hoffnung und Langmut, Ehre und Heldentum. Meistens bringen die Geschichten etwas Orientierung in die Gedanken und Gelassenheit in meinen Hader.
Die Welt ist weiterhin im Umbruch. Ich schaue zu, so wach wie möglich, wirke in meinem Teil davon. Der Herbst ist da. Ich kehre die gefallenen Blätter zusammen und denke an die sechs Schwäne, an die Prinzessin, die sechs Winter lang schwieg, Hemden aus Sternblumen für ihre verzauberten Brüder nähte, ihrer Stief- und Schwiegermutter trotzte und ihre Brüder schliesslich erlöste und so knapp dem Tod auf dem Scheiterhaufen entging. Der Winter kann kommen.
Gianna Olinda Cadonau
Gianna Olinda Cadonau (*1983) befasst sich mit Kunst und Kultur. Die romanische fördert sie als Kulturverantwortliche bei der Lia Rumantscha, die Graubündnerische als Mitglied der kantonalen Kulturkommission und diejenige für die kleine Bühne als Co-Leiterin des Kulturorts La Vouta, Lavin. Schreibend, singend und Butoh tanzend gibt sie sich ihr auch selbst immer wieder hin. Zwischendurch und währenddessen lebt sie mit ihrer Familie in Chur.
Foto: Yanik Bürkli, Bündner Tagblatt
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