Ohne Smartphonesignal auf dem Atlantik: Zeit für Muse und Spiele
Längst vorbei sind die Zeiten, in denen ich an einem Pikettsonntag den ganzen Tag daheim neben dem Telefon verbringen muss. Vergangenheit auch, dass ich für meine Arbeit zwingend an einem Schreibtisch sitze. Ich kann überall arbeiten. Diese Zeilen zum Beispiel schreibe ich auf dem Schiff. Heute ist ein toller Herbsttag. Daheimbleiben wäre eine Sünde. Ich fahre den Bosporus herunter, in die Altstadt, dort - so der Plan - kehre ich in einem der ältesten Kaffeehäuser der Stadt ein und mit dem nächsten Boot geht's dann wieder heimwärts. Was für ein Flohnerleben. Die neuen Techniken haben viel Gutes gebracht. Das Internet ist überall und jederzeit zur Hand, erreichbar sind wir auch - non-stopp. Emails können immer und sofort beantwortet werden. Die letzte Handlung vor dem Schlafengehen ist ein Blick in den Posteingang. Am Morgen lese ich zuerst die Flashnachrichten der Nacht. Unbestritten ist: die neuen Technologien sind genial, aber auch anstrengend. Jedes SMS, dass reinsurrt, reisst einem aus den Gedanken, jedes E-Mail, dass angezeigt wird, lenkt ab. Und jede Nachricht, die einem aus der Arbeitswelt in den Ferien erreicht, ruiniert die Urlaubsstimmung.
Diesen Sommer machte ich eine interessante Erfahrung. Wie zu alten Zeiten überquerten wir den Atlantik von Amerika nach England. Mit dem Schiff. Auf dem Oceanliner gab es bald kein 3G-Signal mehr. Internet- und Telefonverbindungen wurden über Satelliten hergestellt und waren prohibitiv teuer. Die ersten zwei Tage trug ich das Handy noch mit mir herum - aus lauter Gewohnheit - und ertappte mich, wie ich den Code eintippte und erst dann realisierte, dass ich gar nicht verbunden war. Auf dem Schiff hatte ich schliesslich viel Zeit ohne FB oder Twitter, Zeit zum Bücherlesen, für Spiele und Diskussionen über Gott und die Welt. Ich wurde nicht von Büroemails aus meiner Ferienstimmung gerissen, es gab keine Anrufe von Kollegen, die eine Auskunft zur Türkei wollten, ich hatte keine Ahnung, was auf der Welt los ist. Was sich anfänglich wie eine Strafe anfühlte, entpuppte sich nach wenigen Tagen zu einem Geschenk: Den Luxus für ein paar Tage nicht mehr erreichbar zu sein.Ruth Bossart
Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.
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