05.01.2018 Romana Ganzoni 4 min

Kurz vor Jahresende transportierten deutsche Blätter und soziale Medien die wundervolle Nachricht, in Schweden werde Sex vertraglich geregelt, sogar für die Ehe, und erst noch schriftlich. Wow! Endlich. Ich war begeistert. Sweden: 10 Points! Mindestens. 
Andere, viele, sehr viele waren voller Spott und Häme, sogar hässig - sie hatten die produktive Tragweite des Sex-Vertrages nicht erfasst -, ich traute mich nicht zu widersprechen, so ein Widersprüchlein zeitigt heutzutage gerne unübersichtlich viele virtuelle Ohrfeigen und Kopfnüsse, es kann zum sofortigen Social-Media-Aus führen. Du widerspricht kurz auf Twitter, am nächsten Tag liegt dein Leben in Trümmern, die Verwandten ziehen sich zurück, im Coop grüsst dich kein Mensch, die Bank kündet die Hypothek, du verarmst und stirbst. Dann wirst du ausserhalb der Friedhofmauer verscharrt.

Keine Ahnung, warum das so ist. Der Seich begann vor zwei, drei Jahren. Nun tun alle so ekelhaft offen, aber nur, wenn sie genügend Leute kennen, die der gleichen Meinung sind. Also schwieg die isoliert beglückte Frau (ich) und genoss die noch ungetrübten News aus Skandinavien, kicherte in sich hinein, still und heimlich. Nur: Die Wonne war von kurzer Dauer. Schon hatten irgendwelche wahrheitsfanatisierten Traumkiller gemeldet, die Schweden ratifizierten gar keinen Ehe-Sex-Vertrag. Sweden: 0 Points. Seither sind mein Mann und ich in einer tiefen Sinnkrise.

Immerhin darf ich sagen: Wir haben kurz vor Jahresende nicht gezögert. Wir haben es getan. Wir haben unter dem ersten (leider falschen) Eindruck nach schwedischen Vorbild einen total heissen Ehe-Sex-Vertrag aufsetzen und notariell beglaubigen lassen, ein Regelwerk, das unsern Beischlaf brandneu definierte: Kreuzte ich kein fettes Ja an (und setzte ich nicht zehn Häkchen für die Unterkategorien – da hier Kinder und Mimosen mitlesen, verzichte ich auf die Details, die übrigens Hammer sind, ich sage nur: Sweden, 10 Points), war da nix. Und damit meine ich: gar nix. Galt auch für ihn. Galt für beide. Krass, oder? Du kreuzt an oder nicht. Es ist was oder nicht. Das nenne ich echte Freiheit.

Er und ich, wir mussten natürlich (nach all den Kosten) häufiger miteinander verkehren, so drei Mal am Tag (und drei Mal in der Nacht), sonst hätten wir gar nicht alles umsetzen können, was möglich und machbar ist. Weil: Das ist sooo viel, porca miseria! Die Kinder konnten wir da nicht auch noch betreuen. Wir riefen die KESB an, und die holte die Kinder ab. Gott sei Dank! Ab sofort arbeiteten wir Teilzeit, je 20%, wie kriegt man die Frequenz sonst hin, neben einem 100% Job? Es ist unmöglich.

Ihr seid doch schon eine halbe Ewigkeit zusammen, was gibt es da zu regeln, könnten Kritiker fragen. Keine Ahnung, diese Kritiker. Sorry, aber ich muss philosophisch werden: Wann kennt man einen anderen Menschen? Nie , gar nie. Der Typ, den du zu kennen glaubst, könnte plötzlich durchgreifen, deine Finger von seinen Brusthaaren entfernen, du voll am Kraulen und Schnurren. Er so: Ich hasse, was du tust, habe es schon immer gehasst, lass mal meine Brusthaare in Ruhe. Nicht weil ich es grundsätzlich nicht mag, ich mag nur nicht, wenn du es tust. 

Aha, er mag mich nicht. Ja, okay, dann bin ich jetzt halt frei. Single. Neue Ufer. Dank Ehe-Sex-Vertrag, denn da steht: Du musst gar nichts. Das nenne ich echte Freiheit.

Momente der Paar-Wahrheit können (und dürfen!) jetzt jederzeit eintreten. Ist doch gut. Voll hygienisch für so eine eingeschlafene Partnerschaft. Sweden: 10 Points. Er könnte mir endlich sagen, dass er eine, die nachts selbstgelismete Herrensocken trägt (seine!) abturnend findet. Ich könnte, wie oben skizziert, sofort Single werden und mein Leben unbeschwert geniessen, oder sagen, dass ich mich total herabgesetzt fühle und ihn sofort anzeigen, die Nummer der Polizei steht unten im Ehe-Sex-Vertrag, auch so einmalig praktisch – so können sich auch verwelkte Paare subito hinter Schwedische Gardinen einliefern lassen, damit sie endlich mal was erleben. 

Von Socken stehe im Vertrag gar nichts, könnte ich der Polizei am Telefon sagen. Weder, dass man sie tragen dürfe, auch nicht, dass man sie nicht tragen dürfe, schon gar nicht, dass man etwas, das nicht geregelt ist, kritisieren solle, weil man gar nicht wisse, ob man überhaupt dürfe. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Mensch hat die Wahl. Beziehungsweise: Hätte. Wenn die Schweden, diese Spiesser, progressiver wären. Aber so!? 0 Points. 

Romana Ganzoni

Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.