Wo sind denn hier die Granatäpfel? Bild: Carla Sabato
Er trug einen knallroten Overall, und sprintete mit o-beinigen Schritten die Schienhutgasse zur Universität hoch. Als er näher kam, hörte ich ein seltsames Klacken und seinen keuchenden Atem. Einmal blieb er stehen und boxte mit beiden Händen vor sich in die Luft, dann lief er weiter. Ich war nicht die einzige, die von dieser Person etwas irritiert war. Ein junger Mann welcher ebenfalls die Gasse hinauflief und vom roten Mann überholt wurde, hatte exakt den Gesichtsausdruck den auch ich auf meinem Gesicht spürte. Als der Mann auf gleicher Höhe mit mir war, sah ich dass er einen roten Skirennanzug trug, und darüber eine rote Velohose. Das seltsame Klacken kam von den Langlaufschuhen. Nicht nur die Langlafschuhe sahen nach Langlauf aus, sondern auch seine Bewegungen: Als ob er im Skating-Schritt einen Hang hinauf sprinten würde. Im ersten Moment dachte ich tatsächlich, dass er vielleicht für den Engadiner Skimarathon trainieren könnte. Aber eigentlich doch nicht - die Situation war schon ziemlich absurd. Manchmal sieht man Ereignisse, die im ersten Moment kurios erscheinen, sobald man aber den Kontext kennt, sind sie nicht der Rede wert. Erst kürzlich zückte ich an der Migros-Kasse einen Granatapfel anstatt meines Portemonnaies. Aber auch nur weil ich gedankenlos in meiner Tasche rumwühlte und mir als erstes der zuvor gekaufte Granatapfel in die Hände fiel. Die Kassiererin konnte natürlich nicht wissen, dass das ein Resultat von Gedankenlosigkeit war - und nicht der Wille mit Naturalien zu bezahlen. Ich taufe hiermit kuriose Situationen, deren Kontext wir nicht kennen: Als Granatäpfel. Schliesslich muss man für jedes Ding einen Namen haben. Den Granatapfel des Mannes im roten Overall kannte ich also auch nicht. Ich stelle ihn mir folgendermassen vor: Einige Stunden davor. Er freute sich tierisch auf seinen Langlaufurlaub im Engadin. Die Anreise sollte mit dem Zug stattfinden, das Langlauf-Outfit wollte er bereits anziehen, damit er aus der räthischen Bahn direkt auf die Loipe springen konnte. Aus lauter Alltags-Trott-Gewohnheit stieg er auf sein Velo und fuhr damit in Richtung Zürich Hauptbahnhof. Dort angekommen bemerkte er, dass das Wichtigste fehlte: die Langlaufskis! Da er von seiner Vergesslichkeit so genervt war, beschloss er zu Fuss nach Hause zu rennen um die Skis zu holen, damit er sich nebenbei noch etwas abregen konnte. Aber im Velokörbchen lag ja noch die Ersatz-velohose - für alle Fälle. Die würde die Standzeit am Hauptbahnhof nicht überleben, ohne gestohlen zu werden. Kurzerhand entschloss er sich dazu, sie einfach überzuziehen, um die Hände freizuhaben. Also lief er los. Um Zeit zu sparen nahm er eine Abkürzung, und erreichte die Schienhutgasse, die zur Universität hinaufführte. Da kam ihm eine Idee: Der Hang schien perfekt um einen Langlauf-Aufstieg zu üben. Gesagt getan. reichlich ausser Puste ärgerte er sich nun doch über seine Idee zu Fuss nach Hause zu laufen, und machte seinem Ärger Luft, indem er inne hielt, und in die Luft boxte. Er lief weiter. Zu allem Übel überholte er erst einen jungen Mann, dann kam eine junge Frau entgegen, die ihn beide doof anglotzten. Wenn die bloss seinen Granatapfel kennen würden!
Carla Sabato
Carla Sabato ist Studentin, ehemalige Praktikantin bei der Engadiner Post, Hobbyfotografin (liebend gerne in der Dunkelkammer), stolze Vegetarierin, Yoga-Praktizierende, Verfechterin gemässigter Klimazonen, Frühaufsteherin, Hundehalterin, Pragmatikerin, schwarze Rollkragenpullover Trägerin, Teilzeit Existentialistin, Raus-aber-richtig-Frau, schlechte Autolenkerin und Möchtegern-Vancouverite.
Diskutieren Sie mit
Login, um Kommentar zu schreiben