Ob mit Präparat oder Sonnenbad – Vitamin D ist wichtig für die Knochengesundheit
Neulich war ich beim Arzt, obwohl ich mich gesund fühle. Ich gehöre zu den glücklichen Menschen, die von sich behaupten können: Krank? Nein, das bin ich Gott sei Dank nie. Höchstens mal etwas verschnupft oder müde, das ist alles. In unserer hypochondrischen Gesellschaft, wo einem ununterbrochen eingeredet wird, dass dieses und jenes ungesund, krebsfördernd und schädlich ist, fühlt sich, kerngesund zu sein, irgendwie verdächtig an. Ein cooles Leiden zu haben, wie zum Beispiel das Kartagener-Syndrom, bei dem die Organe seitenverkehrt angeordnet sind, gehört heute zum guten Ton.
Das Problem ist, dass der Mensch vor allem über seine Mängel definiert wird und weniger über seine Qualitäten. Das kennt jeder, der einen Chef oder eine Chefin hat: Mit Kritik ist er oder sie grosszügig, mit Lob umso sparsamer. Und meist behandeln dich auch deine besten Freunde und selbst der Ehepartner nach diesem Prinzip. Darum ist es entscheidend, möglichst attraktive oder krasse Mängel und Mankos hervorzuheben, denn nur so kann man die Dauerkritik ins Positive wenden. Promis beherrschen diesen Kunstgriff am besten. Wer, der regelmässig in Klatschheften abgebildet wird, leidet nicht an einer bipolaren Störung oder der heimtückischen Autoimmunkrankheit Lupus? Ob Fake- oder echtes Leiden spielt dabei keine Rolle, Hauptsache es nützt dem Bekanntheitsstatus. Der absolute King of Manko war Michael Jackson, der (angeblich) unter der Weißfleckenkrankheit Vitiligo litt.
Um mein gesundes Selbstwertgefühl jenem von Promis anzugleichen, melde ich mich also beim Hausarzt. Für einen Gesundheitscheck, in der Hoffnung ein spannendes aber unbedenkliches Leiden zu entdecken. Nach etlichen Jahren Krankenkassenzahlen, ohne krank zu sein, habe ich mir das verdient, rede ich mir eine Begründung zurecht. Die nette Praxisassistentin hat mir im Vorfeld Blut genommen und dann bei der Sprechstunde mit dem Herrn Doktor kommt der grosse Schock: Nichts, es fehlt mir an nichts! Warum kommen Sie zu mir? Sie sind doch gesund, meint der Doktor ein wenig vorwurfsvoll und schiebt sogleich nach: Aber ein Wert im Blutbild ist viel zu niedrig. Wusste ich es doch, auch ich habe eine Mangelerscheinung. Es mangelt mir an Vitamin D! Für den Arzt ist der Befund keine Überraschung. Ein Grossteil der Engadiner habe Vitamin-D-Mangel, sagt er und verschreibt mir ein Supplementpräparat, was leider nach einem Standardleiden klingt und nicht nach etwas Aussergewöhnlichem, wie erhofft.
Dafür erfahre ich, dass man Vitamin D nur zu einem kleinen Teil mit Nahrung aufnehmen kann, etwa mit fettreichen Fischen; der grösste Teil produziert der Körper selbst, darum ist es eigentlich kein Vitamin, sondern mehr ein Hormon. Für die körpereigene Produktion braucht es allerdings Sonne, UVB-Strahlung, die in die Haut dringt, um genau zu sein. Sonne?! Davon haben wir im Engadin doch mehr als genug; manche Touristiker behaupten sogar, in St. Moritz scheint die Sonne an 400 Tagen im Jahr. Und ich bin ja oft draussen am Sport treiben. Weshalb also der Mangel? Schuld ist zum Teil mein pflichtbewusstes Auftragen von Sonnenschutzmitteln, wie ich es von der hypochondrischen Gesellschaft brav gelernt habe. Was ich nicht gewusst habe: Gute Sonnencremes behindern die Vitamin-D-Produktion. Auch sollte die Sonne auf möglichst viel Hautfläche treffen. Plötzlich fällt mir eine spektakuläre Therapieform ein, um die wenig attraktive Mangelerscheinung zu beheben: Ich könnte jeden Tag in Badehosen Snowboarden gehen, in der Mittagssonne und ohne Sonnenschutzmittel. Doch auch dies würde wenig nützen; denn im Winter ist der Sonnenstand in unseren Breitengraden zu niedrig, sodass kaum UVB-Strahlung durch die Atmosphäre dringt, selbst auf der sonnenverwöhnten Corviglia während der Mittagszeit nicht.
Somit bleibt mir nur das Supplementpräparat, um keine brüchigen Knochen, Infektionen, Hautprobleme, Rückenbeschwerden oder gar Depressionen und Krebs zu bekommen, was einem Vitamin-D Mangel alles nachgesagt wird. Also laufe ich in die Apotheke und lege mein Rezept auf den Ladentisch. Ich bekomme ein Pipettenfläschchen, abgerechnet wird über die Krankenkasse. Vitamin-D-gestärkt und noch immer kerngesund erhalte ich einige Wochen später die Leistungsabrechnung der Krankenkasse. 4 Franken und 25 Rappen werden mir von meiner Maximalfranchise von 2500 Franken abgezogen. Und mir wird bewusst, wie überbürokratisiert unser Gesundheitssystem ist. Das zweite Fläschchen Vitamin-D-Tropfen leiste ich mir darum ohne meine Krankenkasse als Durchlauferhitzer zu missbrauchen.
Die Moral der Geschichte: Lobe die positiven Seiten deiner Mitmenschen und siehe über die negativen hinweg. Das tut gut und spart Gesundheitskosten.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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