Wie ich meine Kollegen aufassNach Abschaffung von SDA, SRG, SBB, AHV, IV, GR, ZH und CH klopfte ich halt bei den Privaten an. PRO7, RTL und so weiter. Wegen der Reality-Formate. Was blieb mir anderes übrig? Ich war schon 50 und eine Frau, also verzweifelt. Aber nicht faul. Also auf! Ins Epizentrum der Selbstverantwortung.
Zum Verlag hatte ich gesagt, hey, ich bin verdammt lustig und entfesselt dazu, ich kann Markt. Wir auch, sagten die vom Verlag und schickten mich zum Bäcker wegen des Nebenjobs. Aber ich bekam ihn nicht. Und deshalb gleich zum Reality-TV rennen? Ja. Für Stilfragen hatte ich keine Nerven. Meine Kinder studierten. Seit Schulen und Unis unendlich frei waren, kostete das jeden Tag Eintritt.
Natürlich habe ich mich auch bei Christoph Blocher beworben, stante pede, das heisst: nachdem ich bei allen anderen auf der Liste abgeblitzt war und das Vorlesen auf der Strasse nur Beschimpfungen eingefahren hatte, da pilgerte ich halt nach Herrliberg - von Einsiedeln aus, dachte, dem Christoph macht ein religiöser Start sicher Eindruck, das wirkt nach Auftrag, ja es schwingt etwas Gnadenbringendes mit.
Vor seiner Villa habe ich ein paar Kunststücke probiert mit meinem dressierten dreifarbigen Huhn Matilde, Matilde sprang tapfer übers Stöckli, gackerte die Tonleiter, dann hüpfte es mir auf den Buckel, schiss punktgenau, flatterte davon, während ich einen Flik-Flak zeigte, perfekt gestanden, und nachher balancierte ich eine Stunde lang auf einem Bein, ich dachte, so wirke ich vielleicht wie eine Heilige, die heilige Ex-Libra aus der Innerschweiz, wo alles begann, die Hammer-Story des Widerstands gegen das Fremde, Sofas zum Beispiel und Croissants, Römisches Recht und arabische Ziffern, plötzlich aber tat mir das Bein schaurig weh, darum hob ich zu meinen schönsten Gedichten an, also, nein, nicht die schönsten, aber die harmonischsten: eine Bildbeschreibung des schlafenden Knaben von Albert Anker und „Das Bauernmädchen“, ein Klang, wie in Segantinifarben getaucht. Alpin, karg und gut und von einem Glanz, das so ein Bergbauernleben glatt überfordern würde.
Ich deklamierte die Gedichte vor der Herrliberger Villa wie ich das in den Kursen für die gestrandeten Künstlerinnen gelernt hatte. „Make your Performance perfect“, hiess ein Lehrgang, „How to be everybodys Darling“, ein anderer. Es gab auch Kurse für ästhetische und originelle Suizide, die unvergessen bleiben sollten, was ausserdem eine Inspiration für Künstler mit Sponsor sein konnte, der Suizid als solidarischer Akt, man müsse zusammenhalten in harten Zeiten, aber ich war zu müde.
Andere hatten mehr Glück als ich. Sie waren wohl besser. Ich war nicht mal Erbin, weder Götterliebling, noch normaler Glückspilz mit Lotteriegewinn. Blocher wollte folgerichtig nicht mein Mäzen sein. Zur Handlangerin des Bäckers hatte es nicht gereicht, geschweige denn zur Nanny oder Chauffeuse, klassische Nebenjobs von Autorinnen, auch im Service waren sie zu finden und in meinen Breitengraden natürlich als Bewacherinnen von Schneekanonen und als Skilehrerinnen. In der Paradiso-Hütte bei St. Moritz habe ich so manche verzweifelte Schriftstellerin gesehen, wie sie Notizen in ihr Nokia tippte, wenn die Herrschaften einen Schwung beizwärts machten, sich ein Glas Champagner auf der Terrasse gönnten, um die Strapazen des Gondelfahrens zu vergessen. Die Autorin tippte in hoher Kadenz Sätze für Romane oder Anleitungen zum Leichenmahl in ihr Gerät.
Ich hingegen wollte leben, ich tippte mit hoher Kadenz meine Anmeldung für „Switzerlands Next Top-Writer“, kurz NTW, das im Schweizer Fenster von PRO7 lief. Ich dachte, ist ja eine Freakshow, da kann ich ruhig hin, die Leute wollen andere Menschen auslachen, am liebsten solche, von denen sie glauben, sie fühlen sich als etwas Besseres, sie wollen Lächerliches sehen, Erstaunliches, ein Massaker, und zum Schluss: eine Heldin. Den Ablauf hatte ich schnell kapiert. Ich musste da mit ein paar Produzenten und Produzentinnen einen Porno drehen, um in die Vorrunde zugelassen zu werden. Augen zu und durch. Die Weinsteins und Wedels dieser Welt waren wieder fest im Sattel. Die Besetzungscouch dampfte von jeder Art Fleisch.
Wenn du die Shootings der Vorrunde durchstehst, kriegst du neue Brüste und Haarverlängerungen, ab 40 auch ein Lifting, der Markt regelt eben nicht alles, deshalb helfen die Macher grosszügig nach, als lägen sie noch im sozialistischen Lotterbett, Heidi Klum moderiert, weil sie in Sachen Literatur und intellektuell sehr neutral ist, aber sie versteht etwas von perfekt enthaarten Beinen und vom Bösen. Das ist wichtig in der Branche. Klum wird es noch lange zu 150% bringen. Und, seien wir ehrlich, die Leute bei PRO7 und RTL und den anderen Privaten sind einfach ehrlich, ehrlich sein ist authentisch, das ist wichtig. Volle Transparenz. Sie sagen dir ganz ehrlich, was auf dich zukommen wird, und du sagst danke für die Ehrlichkeit und unterschreibst alles.
Die Show ist übersichtlich aufgebaut. Ein bisschen an die Tage der deutschen Literatur in Klagenfurt angelehnt, nur nicht ganz so schlimm. 12 Autorinnen schreiben Texte zu den besten Enthaarungswachsen aus literarischer Sicht, dafür sponsert die Firma Veet das ganze Schreibmaterial, hochwertiges Papier, Lack-Füller mit Goldfeder, 18 Karat, man schreibt von Hand, weil das so krass sinnlich ist, die Texte werden dann von extrem professionellen extrem sexy Schauspielerinnen vorgelesen und die Lautstärke des Applauses gemessen, damit es objektiv ist. Nachher kommt der knifflige Teil, die Schriftstellerinnen müssen aus den A4-Blättern Bikinis in drei Ausführungen falten und mit 12 Zentimeter-Absätzen über den Laufsteg walken ohne umzufallen.
Die Übergewichtigen und die über 40jährigen wurden natürlich bereits vorher aussortiert, nur eine Dicke durfte bleiben und eine Alte (ich), damit man in der einleitenden Sendung die Fettabsaugung und das Face-Lift filmen kann, so können die Leute schon mal etwas vorpöbeln. Die mit extra viel Cellulite und ohne Six-Pack werden beim Start des Walks abgefangen. Irgendwo hat das Ganze dann auch seine Grenzen. Ist ja live.
Da sind die ganz ehrlich und authentisch. Hauptgewinn immerhin: ein Verlag mit Lektorat. Bevor die Autorin den Vertrag unterschreiben darf, soll sie aber noch unverbindich mit dem Lektor in die Ferien nach Schottland, inkl. Jagd und Candle-Light-Dinner, das Ganze wird gefilmt und unter „Der Lektor und sein Lehrling“ vermarktet. Die Kameras auf dem schottischen WC sind neu Pflicht.
Ich habe gewonnen. Mein neues Buch kommt bald. Leider hatte ich noch keine Zeit, es zu schreiben, denn ich machte nach dem NTW auch bei Dschungelcamp mit. Die RTL-Crew war nach dem grosshelvetischen Erniedrigungshallo bei der Konkurrenz so begeistert, dass sie eine Schweizer Ausgabe von Dschungelcamp kreiert haben: „Switzerlands Next Alpine Camp for Surviving Writers“, kurz SC, „Swiss Cannibals“.
Du kriegst fünf Bücher als „Lektüre“, was heisst: zum Fressen. Krieg und Frieden, Die Leiden des jungen Werthers, die Verwandlung, frühe Gedichte von Durs Grünbein und Die Wand von Marlen Haushofer. Dazu eine Flasche Olivenöl aus der Toskana, um die Seiten zu beträufeln, dann wirst du mit neun anderen Autoren vier Wochen in eine Berghütte eingesperrt. Wer überlebt, kriegt den Vertrag. Die Kameras zeichnen alles auf und transportieren das Geschehen dorthin, wo es geschätzt wird. Millionen schauen zu.
Die erste Staffel lief rund, wir waren in der Lischana-Hütte oberhalb von Scuol, Unterengadin, Graubünden. Ich hatte Heimvorteil, klar, überlebte, flog erst nach drei Wochen und einigen Toten raus, weil ich mich geweigert hatte, die Innereien des Kollegen Pauli zu essen, da zeigte der Daumen des Publikums steil nach unten, goodbye! Ich hatte mich an die Unterarme der Frauen gehalten, eine Empfehlung aus einem Darwinschen Reisebericht.
Nun habe ich mich ganz und gar locker gemacht für die zweite Staffel, im Muothatal. Da werde ich die Konkurrenz auffressen, radibutz, mit Haut und Haar, Nose to Tail, und dabei an meine Grossmutter denken, die sagte: Was auf dem Teller liegen bleibt, bleibt da bis zum Abend, und du sitzt davor, mein liebes Kind. Die hatte auch einen Krieg erlebt, krass, wie das prägt.
Es klebt Blut an meinen Fingern, aber kratzt das wen? Mich nicht, homo homini lupus und Survival of he Fittest, kännsch? Aber, klar, man muss trotzdem ein wenig Schock heucheln, wenn Publikum da ist. Das Publikum will keinen Kannibalen ohne Gewissen.
Mamma mia, ist mir schon kolossal schwer gefallen, die Sandra k.o. zu schlagen und dann ausbluten zu lassen. Das Teamwork mit Tim war Klasse, aber dann musste Tim halt auch dran glauben. The Winner takes it All. There can be only One. Habe ich mal in einem Film gehört. Der Gewinner in der Lischana-Hütte war ein Mann, aber das muss ja fürs Muothatal nicht gelten.
Ich bin süchtig geworden nach Reality. Deshalb habe ich mich bei der Prank-Show „Verstehen Sie Autoren?“ beworben und wurde prompt eingeladen. Böse Scherze liegen mir inzwischen. In diesem Format musste ich zwei Typen reinlegen, französischsprachige Autoren aus Lausanne und Genf, damit das deutschsprachige Publikum sofort eine heftige Abneigung fasst, weil es kein Wort versteht. Ich habe die Kerle in einen Hinterhalt gelockt, unter eine Brücke, da lag eine heisse Münze auf dem Boden, ein Goldvreneli von 1930, brandheiss, alter Kindertrick, die wollten es aufheben, zack! schlonzte der Bretterboden unter ihnen weg, den ich in „Autoren sind Handwerker“ gebaut hatte (Preisgeld: Top-Lektorat beim Gewinner von „Lektionen für Lektoren“), ja, da sind die beiden Welschen also runtergebrettert, wenn ich das so sagen darf. Aie, aie, habe ich gehört, was übersetzt aua aua heisst, dem Publikum hat das gefallen. Vom Einbetonieren der Loser-Autoren in den Neubau bei Ziegelbrücke gab es dann nur noch einen Zusammenschnitt.
Nun freue ich mich auf die neue Show „Autoren im Weltall“. Ich weiss noch nicht, wie die abläuft, sage aber schon mal: Adieu Schweiz!
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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