Ich gehe gerne in Konditoreien. Die Türken sind wahre Meister der süssen Kunst. Nicht nur Baklava in allen erdenklichen Füllungen gibt es dort zu geniessen. Auch die Torten und die Patisserie können sich gut und gerne im internationalen Wettbewerb messen. Auf dem Weg zur Busstation muss ich immer einen Stopp einschalten. Im Schaufenster der lokalen Bäckerei sind häufig Meisterwerke ausgestellt. Eine Fussball-Torte war da kürzlich zu bestaunen: grüner Marzipanrasen, Spieler aus Zuckerguss, der Fussball eine glasierte Haselnuss. Schon am Abend war die Torte nicht mehr im Fenster. Welches Fussball verrückte Kind wohl bald eine Party feiert? Auch „Star Wars“-Kuchen sind beliebt oder Ballett-Torten in rosa und weiss. Kürzlich hat mein lokaler Bäcker angefangen, Süsswerk in Tarnfarben zu kreieren. Sein erstes Gebäck waren Cupcakes mit Camouflage-Glasur. Seit Ende Januar führt die Türkei wieder Krieg. Diesmal im Norden Syriens gegen die Kurdenmilizen der YPG. Jeden Tag berichten die gleichgeschalteten türkischen Medien von Erfolgen und den Soldaten, die ihr Leben für das Vaterland geopfert haben. Fernsehsender übertragen stundenlang Beerdigungen dieser Helden, ihre weissen Särge in die in die türkische Flagge gehüllt. Dieses Privileg wird nur den Märtyrern zuteil. Kameraden im Stechschritt geben ihnen das letzte Geleit. Präsident Erdogan derweil überhöht den Heldentod bei jeder Gelegenheit. Kürzlich orderte er bei einer Veranstaltung ein sechsjähriges Mädchen auf die Bühne. Die Eltern hatten das Kind in eine Militäruniform gesteckt und ihm beigebracht, wie Soldaten salutieren. Erdogan fragte das Kind sinngemäss, ob es bereit sei, den Märtyrertod zu sterben. Natürlich zögerte das weinende Mädchen keine Sekunde mit seinem Ja. Menschen, die für die Türkei ihr Leben lassen, nennt man hier Sehit, Märtyrer. Polizeifahrzeuge werden nach ihnen benannt und auch Wasserwerfer. Seit kurzem fährt auf der Rückscheibe des Auslieferungsfahrzeuges von meinem Bäcker sogar das Portraits eines Sehits mit, auf der Kühlerhaube des Fiat eine rotweisse Türkeiflagge. Auch über der Quartierstrasse hängt ein riesiges rotes Tuch mit weissem Halbmond und Sternen: die Türkische Fahne, schätzungsweise 10 auf 8 Meter, so gross, dass sie sich bei starkem Wind in den Telefondrähten verheddert. Als ich neulich Baklava besorgen wollte und nicht nur das Schaufenster bewunderte sondern in den Laden hineinging, staunte ich nicht schlecht: neben einer Torte, auf der Angry Birds herumturnten, hat der Konditor auf einen Kuchen in Form eines Sarges ausgestellt, drapiert in eine rote-weisse Zuckerflagge, Marzipan-Schulterpatten und Mütze ordentlich angeordnet. Daneben steht ein glücklicher Kämpfer in Tarnuniform, die Maschinenpistole im Arm, goldgerahmt lese ich „Happy Birthday, Enes“. Ob sich Enes beim letzten Geburtstag wohl noch für die Fussball-Torte entschieden hat?
Ruth Bossart
Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.
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