Bücher über Bücher - so sieht das Studentenleben tatsächlich manchmal aus. Bild: Carla Sabato
Ich habe eine Leidenschaft. Ich weiss nicht genau woher sie kommt, weshalb ich sie habe und ob ich mir nicht einfach nur wünsche dass ich sie hätte. Sie begleitet mich schon seit meiner Gymnasialzeit: Die Philosophie. Das Problem ist aber, dass ich den Besitz dieser Leidenschaft immer wieder bereue. Spätestens dann, wenn ich mich wieder einmal für einen Kurs eingeschrieben habe und inmitten von vergeistigten Wesen sitze, die körbeweise Fremdwörter über meinem Kopf ausleeren. Oder dann wenn mich der Professor ebenjener Vorlesung mit überschäumender Begeisterung als Auserwählte bestimmt, die eine Diskussionsfrage in die Runde werfen darf à la: "Spot auf Frau Sabato!"
Ein anderes Erlebnis ergab sich, als derselbe Dozent eine schriftliche Arbeit in Auftrag gab - den dazu benötigten Text gab es in der Stadt Zürich genau zwei mal. Eine Version war dabei bereits ausgeliehen, die zweite befand sich in der Ethik-Bibliothek der Universität. Bei Bibliotheks-Recherchen bin ich tatsächlich immer wieder auf diesen ethisch korrekten Ort gestossen, hatte aber aufgrund seiner exklusiven Lage und den exklusiven Öffnungszeiten immer davon abgesehen dort Bücher auszuleihen. Dieses Mal führte kein Weg daran vorbei, oder besser gesagt kein Bus. Den nahm ich nämlich und fuhr eine halbe Stunde quer durch die Stadt um an einer verlassenen Bushaltestelle wieder auszusteigen. Der Weg zum Ethikzentrum führte an zwei schmiedeeisernen Toren eine gepflasterte Auffahrt hinauf, auf der zwei Männer eifrig damit beschäftigt waren das dort wachsende Unkraut zu fotografieren und in Plastiktüten zu packen. Das Gebäude selbst war vermutlich aus der Gründerzeit und wunderschön.
Ich ging hinein und stand tatsächlich in einem Wohnzimmer. An der einen Wand befand sich ein Kamin, davor standen mehrere Polstersessel, an der anderen Wand mehrere Portraits von Philosophen. Eine mit Teppich ausgelegte Wendeltreppe führte in die oberen Stockwerke und zur Bibliothek. Auf der Treppe kam mir eine Frau entgegen, die bei meinem Anblick erstaunt lächelnd stehenblieb und mich mit ihren Blicken verfolgte, bis ich das obere Stockwerk erreicht hatte. Ich betrat das Zimmer, welches mit Bibliothek angeschrieben war und stand mitten in einem Büro. Wieder freundliche und erstaunte Blicke, diesmal von zwei Augenpaaren. Ich schaute mich um. Bücher gabs keine.
„Bin ich hier richtig in der Bibliothek?“
„Ja, sind Sie. Aber eigentlich ist sie im Keller.“
„Ach so, dann sollte ich wohl besser nach unten gehen.“
„Nein nein, ich hole Ihnen was sie möchten.“
Ich hielt ihr meine Notiz mit der Signatur des Buches hin, sie sah nur kurz drauf und nickte, als ob sie ob der Zahlen und Buchstabenfolge genau wüsste was ich wollte. Dann stürzte sie förmlich zur Tür hinaus. Etwas betreten stand ich nun fast allein im Raum da - nur um beschäftigt zu sein las ich das Bibliotheksreglement, welches an der Wand hing. Dort stand, dass die Ausleihfrist 28 Tage betrage und falls man die Bücher nicht zurückbringt diese Frist stillschweigend 2 mal verlängert wird. Danach habe man noch weitere 3 Mal die Möglichkeit, die Ausleihfrist zu verlängern. Bücher konnte man also quasi für immer behalten.
Von weit her hörte ich wieder polternde Schritte und lautes Atmen. Die Bibliothekarin kam hinein, drückte mir das Buch in die Hand. Ich zögerte nicht lange, sondern verliess eilig das Büro alias Bibliothek, ging wieder nach unten durch das Wohnzimmer und hinaus auf den Vorplatz, wo die beiden Männer nun einige Meter weiter rechts ihre Pflanzen einsammelten.
Irgendwie fühlte ich mich seltsam belustigt und peinlich berührt zugleich - und konnte wieder mal nicht beantworten, weshalb mir philosophische Situationen so zu schaffen machten.
*Oder wie man sich Literatur für Philosophie-Essays besorgt.
Carla Sabato
Carla Sabato ist Studentin, ehemalige Praktikantin bei der Engadiner Post, Hobbyfotografin (liebend gerne in der Dunkelkammer), stolze Vegetarierin, Yoga-Praktizierende, Verfechterin gemässigter Klimazonen, Frühaufsteherin, Hundehalterin, Pragmatikerin, schwarze Rollkragenpullover Trägerin, Teilzeit Existentialistin, Raus-aber-richtig-Frau, schlechte Autolenkerin und Möchtegern-Vancouverite.
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