17.06.2018 Dominik Brülisauer 7 min
Bild: Dominik Brülisauer

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Wenn man im Engadin unterwegs ist, dann begegnet man früher oder später einem Piloten. Das ist so sicher, wie man in der RhB auf extrem genervte Einheimische trifft, die sich am liebsten ihre Ohren abreissen und aus dem Fenster werfen wollen, weil sie sich zum dreimillionsten Mal in fünfzehn Sprachen anhören müssen, dass man gerade auf einer der geilsten Bahnstrecken der Welt unterwegs ist und man die Fahrt geniessen soll.   Es gibt gute Gründe, warum es bei uns so viele Piloten gibt. Der offensichtlichste ist selbstverständlich die Schönheit Tales. Die möchte man von allen Seiten aus betrachten. Ein anderer Grund ist die dünne Höhenluft. Die garantiert jedem Hirn ein natürliches High, das süchtiger macht als Crystal-Meth und «Breaking Bad» zusammengezählt. Und wenn man halb beduselt über dem Hochtalboden schwebt, stellt man sich nicht selten lustige Fragen. Woher kommt überhaupt der Begriff Vogelperspektive? Ein Vogel hat doch seine Augen auf der Seite seines Kopfes. Wenn er geradeaus fliegt, sieht er doch immer nur die Bergwände? Doch bevor man sich dazu durchringt beim Duden vorstellig zu werden und ihn darum bittet, das Wort Vogelperspektive durch den Begriff Satellitenblick oder Dirk-Nowitzki-Sicht auszutauschen, beschäftigt man sich bereits mit der nächsten Frage: Wenn man in der Luft still fliegen würde und die Welt sich dabei unter einem wegdreht, sollte man doch theoretisch in 24 Stunden einmal um den Globus reisen können. Und wenn man am Boden die ganze Zeit hüpft, sollte das doch auch funktionieren. Dann rechnet man nach, wie viel Geld man bereits für Flugreisen nach Rio de Janeiro oder Ouagadougou ausgegeben hat und beginnt sich ab sich selbst zu nerven. Doch glücklicherweise beruhigt einen der Sauerstoffmangel wieder ziemlich schnell und man beginnt sich mit der nächsten Frage zu beschäftigen: Sind das da unten Menschen, die aussehen wie Ameisen, oder bin ich mittlerweile so weit abgesoffen, dass ich tatsächlich in zwei Sekunden in einen Ameisenhaufen knalle? Obwohl alle Piloten im Engadin auf den gleichen Stoff respektive Sauerstoffmangel abfliegen, unterscheiden sie sich bei der Wahl ihrer Flugobjekte doch ziemlich gravierend. Hier gilt: sag mir, was du fliegst, und ich sage dir, wer du bist. Da gibt es zum Beispiel die Gleitschirmpiloten. Sie kommen mit einem Rucksack, der ungefähr die Dimensionen eines Kleinwagens hat, zum Sessellift. Dort regen sie sich darüber auf, dass sie für ihr «Säcklein» extra bezahlen müssen, während jedes Schulmädchen ihre Handtasche gratis raufnehmen darf. Oben angekommen, breiten sie den Gleitschirm auf der Bergwiese aus und hoffen, dass der passende Wind vor den neugierigen Kühen auftaucht. Im richtigen Moment machen sie zwei drei flinke Schritte und schon sind sie in der Luft. Dort hängen sie im wahrsten Sinne des Wortes rum und suchen nach der passenden Thermik. Mit ein wenig Glück schafft es der Pilot sogar nach Davos. Während den WEF-Tagen wird so viel warme Luft produziert, dass man dort noch für den Rest des Jahres genug Aufwind findet um es theoretisch sogar bis in den Weltraum schaffen zu können. An dieser Stelle noch ein Ratschlag für alle Anfänger von meinem Vater, einem passionierten Gleitschirmpiloten: Du solltest aus Sicherheitsgründen deine ersten Flugkünste wenn möglich über einem See üben – und falls du nicht schwimmen kannst, dann halt über einem gefrorenen See. Neben dem Gleitschirmpiloten kann man im Engadiner Luftraum gelegentlich auch einen Deltasegler beobachten. Während der Gleitschirmpilot gemütlich in seinem Gurtzeug sitzt, fliegt der Deltasegler wie Superman mit dem Kopf voraus durch die Luft. In den 80er- und 90er-Jahren haben diese stolzen Flieger den Engadiner Himmel mit viel Stil und Neonfarben verziert. Diese Spezies ist allerdings seltener geworden als Groupies vor der Garderobentüre von Bon Jovi. Das hat nicht nur mit dem ungünstigen Reproduktionsrate-Sterberate-Koeffizienten des Deltaseglers zu tun, sondern auch mit der Faulheit des Menschen. Als Deltasegler muss man sein Fluggerät oben auf dem Berg zuerst mühsam zusammenschrauben. Wer hier nicht an Ikea denkt, der denkt beim Anblick von Nora Illi auch nicht an die Ghostbusters. Falls du gerne Deltasegeln ausprobieren möchtest, kannst du bestimmt aus einem Duschvorhang, ein paar intelligent zusammengeschnürten Garderobenstangen und einem Wäschesack zum Reinliegen das Ikea-Deltasegler-Modell «Störzflüg» basteln. Inspiriert vom Erfolg, den wir mit der Rückbringung des Bartgeiers erzielen konnten, hat die Stiftung Pro Deltasegler ein Projekt gestartet, welches die Wiederansiedlung des Deltaseglers im Engadin zum Ziel hat. Im Nationalpark wurden bereits 26 junge Deltasegler ausgewildert. Gleichzeitig versucht man die Bevölkerung zu informieren und zu sensibilisieren. Es gilt mittlerweile als bewiesen, dass trotz seiner beeindruckenden Spannweite noch kein Deltasegler jemals ein Schaf angegriffen oder gerissen hat. Der Deltasegler ist ein Aasfresser. Am liebsten verputzt er Schnitzel im Bergrestaurant. Gerne würde ich hier noch über die gelegentlich auftauchenden Heissluftballone schreiben. Aber da man einen Heissluftballon nicht wirklich steuern kann, sondern man sich wie bei einem Blinddate auf das Glück verlassen muss, kann man in diesem Zusammenhang auch nicht von Piloten reden. Da ein Heissluftballon ja bekanntlich fährt, auch wenn er durch die Luft fliegt und an seinem Korb keine Räder zu erkennen sind, nennt man die verantwortliche Person wohl Heissluftballon-Chauffeur. Aber eigentlich kann er ja auch nicht viel mehr machen als die Begleiter in Luftseilbahnen: Im Ernstfall allen Passagieren erklären, dass man nicht in Panik ausbrechen soll und allen versichern, dass die Hinterbliebenen bereits über ihre Verluste informiert worden sind und von einem Care-Team betreut würden.   Weiter geht’s mit den Segelfliegern. Die Segelflieger lassen sich vom Flughafen Samedan aus mit einer Seilwinde in die Luft ziehen. Sie kreisen um den Piz Muragl wie Fliegen um einen Kuhfladen. Wenn es ihnen langweilig wird, peilen sie ein paar Wanderer auf dem Höhenweg an und versuchen ihnen den Schreck ihres Lebens einzujagen. Die besten Opfer sind Schüler aus dem Unterland, die in ihrem Klassenlagern von den Lehrern genötigt werden sich in der frischen Luft zu bewegen. Die haben nicht selten das Gefühl, die Schatten am Boden stammen von Drachen aus «Game of Thrones» und werfen sich panisch hinter die nächste Lawinenverbauung in Deckung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Piloten ihre Segelflieger noch mit einem Flammenwerfer ausstatten. Die Pilatus-Flugzeugwerke zeigen sich bereits sehr interessiert, ein Modell zu entwerfen, mit dem man mit wenigen Handgriffen die nötigen Gastanks an den Flügel montieren kann. Mit diesem witzigen Modell möchten sie beweisen, dass man ihre Flieger nicht nur im Nullkommanichts zu einer tödlichen Waffe für Afrikanische Despoten umformen kann, sondern eben auch zu einem witzigen Spielzeug für den humorbewussten Engadiner Freizeitpiloten.   Die bisher genannten Piloten fliegen ruhiger durch die Luft fliegen als ein introvertierter buddhistischer Schmetterling. Die Motoflugzeugpiloten muss man allerdings als die Laubbläser der Lüfte bezeichnen. Unabhängig von Wind und Wetter tuckern sie durch den Engadiner Luftraum und sorgen dafür, dass bei uns im Tal nie eine allzu peinliche Stille herrscht. Die Motorflugzeuge sind vor allem bei Touristen beliebt. Sie können sich mit ihnen in kürzester Zeit einen Überblick über unsere Sehenswürdigkeiten verschaffen. Beim Biancograt prosten sie fröhlich den Bergsteigern zu, die sich kurz vor dem Erschöpfungstod am Eis festkrallen und sich angepisst wundern, warum ihnen in der Bergsteigerschule niemand verraten hat, dass man diese hochalpine Tour auch ganz bequem mit einem Flugzeug absolvieren kann. Die Helikopterpiloten sind die flexibelsten Aviatiker des Tales. Sie können zu jeder Uhrzeit fliegen und landen, wo es ihnen passt. Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass sich die Schweizerische Rettungsflugwacht Rega dazu entschlossen hat, ihre Flotte auf Helikoptern aufzubauen. Die Lobbyisten von alternativen Flugobjekten wie Zeppeline und Düsenjäger haben bei der Rega zwar noch vorgesprochen und die Vorzüge ihrer Modelle betont, aber sie blieben zum Glück chancenlos.  

Dominik Brülisauer

Dominik Brülisauer ist 1977 geboren und in Pontresina aufgewachsen. An der ZHDK in Zürich hat er Theorie für Kunst, Medien und Design studiert. Momentan arbeitet er als Werbetexter, Kolumnist und Schriftsteller in Zürich. Die Bücher «Schallwellenreiter», «Der wahre Liebeslebensratgeber» und «Leben kann jeder» sind im Handel erhältlich. Er besucht das Engadin heute noch regelmässig um im Pöstli Bier zu trinken, auf der Diavolezza zu Snowboarden und um seiner Mutter seine Wäsche abzugeben.
facebook.com/dominikbruelisauer