Tanzen und warten und tanzen. Foto: Gianna Olinda Cadonau
Zugegeben, dieser Titel gefällt mir nicht wirklich. Einen besseren habe ich nicht gefunden. Dass es für mich mehr als eine Zugehörigkeit gibt, ist klar. Wahrscheinlich gilt das für die meisten von uns. Eigentlich wollte ich das hier ja auch Heimaten nennen, aber erstens ist Heimat ein zu grosser Begriff, so weit hinaus will ich dann doch nicht und zweitens macht’s der Plural auch nicht viel besser. Zugehörigkeit ist schliesslich eine Komponente der Heimat, das ist sicher auch klar, und so tut’s dieser Begriff auch – für dieses Mal. Es gibt nicht nur mehrere Zugehörigkeiten, sondern auch verschiedene Arten davon. Zugehörigkeit zu Menschen oder natürlich zu Tieren, aber auch zu Dingen oder Tätigkeiten.
Neulich habe ich nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder Tango getanzt. Ich hatte noch nie in dieser Stadt getanzt, kannte niemanden, nur die Freundin, wegen der ich mich letztendlich getraut hatte hinzugehen. Ein Tanzboden quasi vor dem Bahnhof, nicht sehr gross, vielleicht 30 Quadratmeter, gerade Platz genug für die sechs oder sieben Tanzpaare. Es war alles wie früher schon, in Genf, in Zürich, Hamburg oder Paris – in Buenos Aires war ich nie. Die Musik – sie spielten fast nur klassische Tangos, Milongas und Valses, ich kannte die Stücke, sie sind wie alte Bekannte wieder aufgetaucht, grüssten mich und fragten, ob ich mich an sie erinnere. Das Warten von einem Tänzer aufgefordert zu werden. Und dann der Tanz.
Und doch war früher alles ganz anders als jetzt. Das Gefühl war ein anderes. Vor zehn oder zwölf Jahren war noch etwas anderes darin enthalten, eine andere Möglichkeit. Ich war mitten im Studium, ging tagsüber in die Vorlesungen und nachts drei, vier Mal die Woche tanzen. Der Tango gehörte dazu, zum Alltag, zu den Nächten. Die Türen zu den Räumen in denen die Milongas und Tangokurse stattfanden waren Türen zu einer anderen möglichen Lebensform. Ich weiss nicht mehr wie die Orte hiessen, oder die Strassen, nicht einmal ob ich sie auf Anhieb wiederfinden würde. Die Umarmung im Tanz war jedes Mal ein Fenster, ein Schlupfloch, durch das ich hätte hindurch schlüpfen können. Ganz und gar. Ich hätte nur noch einmal mehr am nächsten Morgen eine Stunde später in die Uni kommen müssen, einen Abend mehr anstatt zu lernen oder mich mit den Kommilitonen zu treffen zum Tango zu gehen. Wer weiss, das hätte wahrscheinlich auch irgendwohin geführt.
Murat, mein Tanzpartner damals, ein Türke im Exil, wäre bereit gewesen. Er hatte richtiggehend trainiert, tanzte gut und immer besser. Als wir beide realisiert hatten, dass ich nicht verwegen genug für das Schlupfloch war und seinen tänzerischen Ansprüchen irgendwann nicht mehr genügte, suchte er sich eine andere, ambitioniertere Partnerin. Ich war ein bisschen traurig, lehnte dann zuweilen länger als sonst an der Bar und schaute den Anderen beim Tanzen zu, wurde dann aber trotzdem wieder aufgefordert, sogar von Murat (der glücklich mit seiner Neuen war), verschmerzte es schliesslich und stellte die Weichen neu. Ich ging weniger oft tanzen. Das Studium habe ich erfolgreich abgeschlossen.
Jetzt nach zehn Jahren, ist es als ob ich irgendwohin zurück komme. An einen Ort, zu dem ich gehöre, zu Musik zu der ich gehöre, und zu Menschen, die ich zwar noch nicht kenne, aber zu denen ich gehöre. Nun gut, das mag auch einfach die im Tango allgegenwärtige ‚nostalgia’ sein, die mit mir durchgeht, und mich eine kleine Hommage an das Tangogefühl schreiben lässt. Wie auch immer, ich denke es handelt sich um eine der Zugehörigkeiten, um das Refugium einer Heimat. Diese Zugehörigkeit gehört nicht mehr zu meinen Dämmerungen und Nächten, da sind jetzt Andere. Nichtsdestotrotz ist sie da und gibt mir Unterschlupf, wenn ich möchte.
Gianna Olinda Cadonau
Gianna Olinda Cadonau (*1983) befasst sich mit Kunst und Kultur. Die romanische fördert sie als Kulturverantwortliche bei der Lia Rumantscha, die Graubündnerische als Mitglied der kantonalen Kulturkommission und diejenige für die kleine Bühne als Co-Leiterin des Kulturorts La Vouta, Lavin. Schreibend, singend und Butoh tanzend gibt sie sich ihr auch selbst immer wieder hin. Zwischendurch und währenddessen lebt sie mit ihrer Familie in Chur.
Foto: Yanik Bürkli, Bündner Tagblatt
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