Die Berufswahl ist ein heikles Thema. So viele Möglichkeiten - trotz der Vielfalt endet die Suche oft genau hier: Vor dem Computer. Bild: Carla Sabato
„Möchten Sie etwas gegen Kinder und Jugendsuizid tun?“
Ich senkte den Kopf und ging hastig weiter. Nicht weil mich Kinder- und Jugendsuizid kalt liess, ganz im Gegenteil.
Aber weil ich grundsätzlich mehrmals pro Woche von Hilfsorganisationen auf der Strasse angesprochen werde. Obengenannter Ansatz war eigentlich doch sehr perfide - wer weitergeht ohne zu helfen wird nicht unbedingt als gutherziger Mensch evaluiert. Ein Attribut welches ich sehr ungern auf mir sitzen lasse.
Übrigens, wenn an Bahnhöfen Gratismuster verteilt werden, kann ich direkt neben den verteilenden Menschen vorbeigehen, ohne etwas zu erhalten. Wenn ich möglichst unauffällig hinter einer Gruppe von Menschen am Stand einer Hilfsorganisation vorbeilaufe, werde ich hundertprozentig angesprochen. Irgendetwas magnetisches scheint wohl an mir zu haften. Wenn ich sämtliche Organisationen bedenke von denen ich bereits angehauen wurde, würden sich die Spenden türmen, aber als Studentin ist das Budget leider begrenzt. Ausserdem frage ich mich oft, ob Geldspenden tatsächlich dort ankommen, wo sie sollen, ich habe immer den Verdacht dass es nicht so ist. Paradoxerweise werden Spenden oft von Studenten eingetrieben - welche die unangenehme Situation ja bestens kennen müssten. Klassische Fälle von Menschen die im falschen Job gelandet sind?
Neben erstgenanntem Beispiel ist mir eine andere Begebenheit mit Hilfsorganisationen lebhaft in Erinnerung geblieben. Nach wochenlanger Abgabe- und Prüfungsphase beschloss ich, mir eine Kugel Glace vom Globus-Stand zu gönnen. Davor stand eine Unicef-Mitarbeiterin, welche sämtliche Personen in der Schlange vor dem Stand angesprochen hat. Auch hier, ein perfider Trick - die anstehenden Menschen konnten nicht einfach so weglaufen wenn sie kein Interesse hatten. Ich schon. In Anbetracht einer unangenehmen Situation in der ich ein schlechtes Gewissen erhalte, verzichtete ich auf ein kaltes Dessert. Was mich sehr frustrierte. Mein Rückzug ärgerte mich umso mehr, als dass ich tagelang mit mir gerungen hatte, ob ich tatsächlich dem Glace-Stand vor dem Globus einen Besuch abstatten und nicht einfach im Supermarkt um die Ecke etwas holen sollte. Kontakt mit anderen Menschen bei Dienstleistungen ist mir grundsätzlich ein Graus: Was könnte die Person von mir denken, wenn ich dieses oder jenes bestelle? Was hält die Person von meinen Haaren die immer wie Teufelshörner von der Seite abstehen? Oft bin ich auch einfach zu faul um mit jemandem zu sprechen. Deshalb liebe ich Self-Checkouts in jeder Form, Online-Shopping oder Kleiderläden mit Verkäufern die so tun als ob man nicht da wäre.
Wer meine aktuelle berufliche Situation kennt, wird wohl gerade in diesem Moment fragend die Stirn runzeln. „Arbeitest du nicht bei einer ganz ähnlichen Stelle, bei der du mit Menschen sprechen musst? Bist nicht du vielleicht im falschen Job gelandet?“ Könnten Sie mich an dieser Stelle vielleicht fragen.
Genau das habe ich mir auch überlegt, als ich schliesslich eine Kugel Walnussglace an einem Stand beim Hauptbahnhof ergatterte. Aber nein, in meinem Job müssen die Menschen mich ansprechen, nicht ich sie.
Das ist etwas ganz anderes.
Carla Sabato
Carla Sabato ist Studentin, ehemalige Praktikantin bei der Engadiner Post, Hobbyfotografin (liebend gerne in der Dunkelkammer), stolze Vegetarierin, Yoga-Praktizierende, Verfechterin gemässigter Klimazonen, Frühaufsteherin, Hundehalterin, Pragmatikerin, schwarze Rollkragenpullover Trägerin, Teilzeit Existentialistin, Raus-aber-richtig-Frau, schlechte Autolenkerin und Möchtegern-Vancouverite.
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