Neulich habe ich gebetet. Denn ich sass in einem Flieger der indonesischen Fluggesellschaft Lion Air. Es ist die einzige Fluggesellschaft, welche die Insel Rote im Osten Indonesiens anfliegt. Der Flug von Westtimor nach Rote dauert nur rund 30 Minuten, doch er beinhaltet einen Start und eine Landung. Und genau das beschäftigt mich, da zielgenaues Starten und Landen keine Kernkompetenz von Lion Air zu sein scheint. In den ersten zehn Jahren seit der Gründung im Jahr 2000 gab es nicht weniger als sieben Zwischenfälle, bei denen ein Flieger von der Piste abkam. Gott sei Dank gab es nur bei einem davon Todesopfer zu beklagen. Selbst als eine Lion Air Maschine beim Anflug auf die Ferieninsel Bali auf dem Meer aufkam und in zwei Teile zerbrach, überlebten wie durch ein Wunder alle 108 Passagiere und die ganze Crew. Wie ich so in mich gekehrt im engen Flugzeugsitz kauere, kommt mir ein Gedanke: Einem Wunder geht meist ein Unglück voraus. Und plötzlich sehe ich die positive Seite eines Flugzeugabsturzes: Man kann dabei überleben! Wahrscheinlich denken die meisten anderen Passagiere ähnlich, zumindest die einheimischen. Denn die Indonesier, denen ich begegnet bin, sind unverbesserliche Optimisten. Wenn der hohe Wellengang Bote an Land spült, lachen sie und freuen sich, diese wieder zu reparieren. Wenn beim Motorroller die Bremsen nur notdürftig funktionieren, verlassen sie sich einfach auf die Hupe. Im Strassenverkehr wird gedrängelt und gedrückt und jeder fährt, wie er will, aber nie ist einer aggressiv und wird ausfällig. Die Indonesier sind ein fröhliches, freundliches und herzliches Volk, was sie zu guten Gastgebern macht. Als Tourist kann dieser unbeschwerte Optimismus verwirrend sein. Vor allem wenn man die immensen Herausforderungen sieht, mit denen der Inselstaat konfrontiert ist: Armut, Abfallberge, Verkehrschaos, Korruption. Wenn man die Leute darauf anspricht, dann Antworten sie meist: „Yes, you are right. But you know what: It will be better next year.“ Die Menschen haben ein durchwegs positives Zukunftsbild. Und auch wenn sie (noch) keine Lösung sehen, sind sie voller Hoffnung und Gottvertrauen. Ich habe drei Inseln besucht und auf jeder ist eine andere Religion vorherrschend, doch überall waren die Menschen fröhlich und positiv eingestellt. Lombok ist vorwiegend muslimisch. Auch im touristisch geprägten Süden gibt es grosse Moscheen und viele Frauen tragen Hidschab, ein Kopftuch, das Haare, Ohren und Hals bedeckt. In Bali sind die meisten Menschen Hindus. Überall hat es kleine und grössere Tempelanlagen mit verschnörkelten Altären, um Opfer für ihre zahlreichen Hindugötter darzubringen. Und in Rote glaubt die Mehrheit an Jesus Christus. Die meisten sind Protestanten, einige Katholiken. Es hat viele Kirchen und oft stehen grosse Kreuze vor den Wohnhäusern. Auffällig sind zudem die vielen Schweine, die frei herumlaufen. In Lombok wäre das undenkbar, dort hat es dafür umso mehr streunende Hunde. Spiritualität begegnet einem in Indonesien auf Schritt und Tritt und in allen möglichen Formen. Denn oft vermischen sich animistische Traditionen mit den grossen Glaubensrichtungen. Was es in Indonesien hingegen nicht gibt – die vielen Touristen ausgenommen – sind Atheisten. Zumindest offiziell nicht, denn der Staat schreibt vor, dass jeder Bürger und jede Bürgerin sich zu einer von fünf grossen Weltreligionen bekennen muss: Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus. Das ist keine Religionsfreiheit, auf der Liste fehlt zum Beispiel das Judentum, aber immerhin eine Auswahlmöglichkeit. Ob dieser Religionszwang gut oder schlecht ist, sei dahingestellt; die Menschen auf Lombok, Bali und Rote jedenfalls haben meist ein Lachen im Gesicht, und ich bin überzeugt, dass dies auch mit ihrem ausgeprägten Glauben zu tun hat, egal wer ihr Gott ist. Denn sein Schicksal in Gottes Hände zu legen und zu beten, ist ein befreiender Akt, der positive Gedanken freisetzt. Und siehe da: Meine Lion Air Maschine setzt zwar etwas holperig aber sicher auf der Landebahn von Rote auf.
Indonesien in Kürze
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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