Foto: Gianna Olinda Cadonau
Anfänge sind meistens schön. Da gibt es noch nichts, was das Angefangene trüben kann. Alles ist noch möglich. Ich tue mich schwer mit Anfängen. Ich bin besser im Dinge beenden und im Durchhalten. Da ist eine gewisse Kondition gefragt, Hartnäckigkeit und Geduld, sowohl beim Abschiednehmen als auch beim Weiterführen von etwas. Auf diese Fähigkeit kann man stolz sein, sie macht sich gut in Bewerbungsgesprächen und in Projektarbeit. Bei Anfängen ist es anders. Da bin ich umständlich. Ich verkompliziere sie, zögere sie hinaus, verlängere sie künstlich, wie diesen Absatz zum Beispiel. Meistens sind sie wahrscheinlich viel kürzer als von mir erlebt oder gemacht. Natürlich weiss ich das nicht so genau. Über Anfänge denke ich weniger nach als übers Weitermachen oder Beenden. Für einen guten Anfang braucht man nicht unbedingt Kondition. Ich spreche auch nicht von Visionsfähigkeit und Begeisterungskraft, die kenne ich vom Durchhalten. Da ist noch mehr.
Zum Beispiel der Anfang einer Theaterproduktion. Da gibt es erst einmal nur eine Idee in meinem Kopf als Produzentin oder im Kopf eines Regisseurs, einer Autorin. Sonst weiss noch niemand davon. Nicht die zwei oder sechs Schauspieler, nicht die drei Musikerinnen, die ich mir wünsche, noch niemand von den mindestens zwanzig Leuten, die am Ende mitarbeiten. Ich habe noch nichts, was ich versprechen kann, noch nichts, was diesen zwanzig Leuten helfen würde, sich für diese Theaterproduktion zu entscheiden und andere Angebote auszuschlagen. Natürlich spreche ich dann mit einem nach dem anderen, natürlich gehe ich das kalkulierte Risiko ein, erste Gagen auszuhandeln, ohne einen einzigen Franken davon finanziert zu haben und natürlich fange ich auch damit an: der Finanzierung. Ich werfe die Idee aufs Papier, schmücke sie aus mit sehr viel Vorwegnahme und Wunschdenken, beschwöre eine Theatersituation herauf, fülle sie mit künstlerischer Qualität, Experimentierfreude, nachhaltiger Wirkung und einer mit gesundem und ökonomischen Menschenverstand zurechtgestutzte Massentauglichkeit. Schliesslich ist das mein Job.
Und es ist ja alles schon da, in meinem Kopf, um unsere Köpfe herum, im Bauch. Wenn die Idee stimmig ist, bestätigt sie sich in jedem Gespräch und wird jedes Mal stärker. Das Imaginierte wird konkret, wenn der erste Entwurf der Bühnenbildnerin genau das auf die Bühne stellt, was zu zeigen ist und alles andere weglässt, wenn die Musikerin dieselbe Atmosphäre möchte, wie der Regisseur, obwohl vielleicht erst die Idee einer Geschichte vorhanden ist. Ich weiss, wie ich vorgehen kann, wenn das erste Zusammentreffen von Künstlern Funkenschlag verspricht, wenn am Ende sogar jemand ersetzt werden muss. Und alles andere ist sowieso in den Händen des Regisseurs und seiner Crew auf und hinter der Bühne.
Der Anfang ist dann sowieso längst vorbei. Das ist mir klar, aber eben auch, dass ich mir selbst im Weg stehe und mich ziere. In mir drin ist eine Unschlüssigkeit, ein fast schon mürrisches Festhalten an meinen Zweifeln. So also ob ich die Kugel, diese Idee, sorgfältig und mühsam auf den Berg trüge, sie dann aber anstatt auf der anderen Seite herunterrollen zu lassen, festhalte, da oben blöd herum stehe und sie – nachdem ich die ersten Personen dafür begeistern konnte – schliesslich tatsächlich wieder heruntertragen wollte. Auf langen Serpentinenstrassen versteht sich. Ich weiss sehr wohl, dass es darum geht, die Kugel loszulassen auf dass sie den schnellsten und direktesten Weg hinunter finde. Dass es gerade in der Kunst um dieses Zusammenspiel der Genauigkeit in den Details einerseits und des Geschehenlassens ohne jede Kontrolle geht. Dass ohne die Balance zwischen diesen beiden Seiten, die man jetzt noch sehr weit ausführen könnte, eben nichts entsteht, nichts beginnen kann. Das ist es ja auch was mich interessiert. Ich möchte die Kugel rollen lassen, ich freue mich schon am Anfang einer solchen Theaterproduktion auf den Moment, wenn bei der Premiere alles an den richtigen Ort fällt, wenn es dann beginnt und alle, die Künstler und das Publikum wissen, worum es geht.
Da ich mir dieser kleinen Gefühlsverwirrung bewusst bin und weiss, dass es wie bei Fausts berühmten Augenblick nicht darum geht zu verweilen, grüble ich nicht weiter nach, lasse mir aber doch – sozusagen als Erinnerung zum Schluss – Faust ins Gewissen reden: «Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen. Dann will ich gern zugrunde gehn!» (V 1699–1702)Die EP/PL-Bloggerin Gianna Olinda Cadonau fängt gern Neues an – obwohl das nicht immer ganz so einfach ist, wie es scheint. Zum Glück weiss sie mehr oder weniger wo der Hund begraben liegt.
Anfänge sind meistens schön. Da gibt es noch nichts, was das Angefangene trüben kann. Alles ist noch möglich. Ich tue mich schwer mit Anfängen. Ich bin besser im Dinge beenden und im Durchhalten. Da ist eine gewisse Kondition gefragt, Hartnäckigkeit und Geduld, sowohl beim Abschiednehmen als auch beim Weiterführen von etwas. Auf diese Fähigkeit kann man stolz sein, sie macht sich gut in Bewerbungsgesprächen und in Projektarbeit. Bei Anfängen ist es anders. Da bin ich umständlich. Ich verkompliziere sie, zögere sie hinaus, verlängere sie künstlich, wie diesen Absatz zum Beispiel. Meistens sind sie wahrscheinlich viel kürzer als von mir erlebt, oder gemacht. Natürlich weiss ich das nicht so genau. Über Anfänge denke ich weniger nach als übers Weitermachen oder Beenden. Für einen guten Anfang braucht nicht unbedingt Kondition. Ich spreche auch nicht von Visionsfähigkeit und Begeisterungskraft, die kenne ich vom Durchhalten. Da ist noch mehr.
Zum Beispiel der Anfang einer Theaterproduktion. Da gibt es erst einmal nur eine Idee in meinem Kopf als Produzentin, oder im Kopf eines Regisseurs, einer Autorin. Sonst weiss noch niemand davon. Nicht die zwei oder sechs Schauspieler, nicht die drei Musikerinnen, die ich mir wünsche, noch niemand von den mindestens zwanzig Leuten, die am Ende mitarbeiten. Ich habe noch nichts, was ich versprechen kann, noch nichts, was diesen zwanzig Leuten helfen würde, sich für diese Theaterproduktion zu entscheiden und andere Angebote auszuschlagen. Natürlich spreche ich dann mit einem nach dem anderen, natürlich gehe ich das kalkulierte Risiko ein, erste Gagen auszuhandeln, ohne einen einzigen Franken davon finanziert zu haben und natürlich fange ich auch damit an, der Finanzierung. Ich werfe die Idee aufs Papier, schmücke sie aus mit sehr viel Vorwegnahme und Wunschdenken, beschwöre eine Theatersituation herauf, fülle sie mit künstlerischer Qualität, Experimentierfreude, nachhaltiger Wirkung und einer mit gesundem und ökonomischen Menschenverstand zurechtgestutzte Massentauglichkeit. Schliesslich ist das mein Job. Und es ist ja alles schon da, in meinem Kopf, um unsere Köpfe herum, im Bauch. Wenn die Idee stimmig ist, bestätigt sie sich in jedem Gespräch und wird jedesmal stärker. Das Imaginierte wird konkret, wenn der erste Entwurf der Bühnenbildnerin genau das auf die Bühne stellt, was zu zeigen ist und alles andere weglässt, wenn die Musikerin dieselbe Atmosphäre möchte, wie der Regisseur, obwohl vielleicht erst die Idee einer Geschichte vorhanden ist. Ich weiss, wie ich vorgehen kann, wenn das erste Zusammentreffen von Künstlern Funkenschlag verspricht, wenn am Ende sogar jemand ersetzt werden muss. Und alles andere ist sowieso in den Händen des Regisseurs und seiner Crew auf und hinter der Bühne.
Der Anfang ist dann sowieso längst vorbei. Das ist mir klar, aber eben auch, dass ich mir selbst im Weg stehe und mich ziere. In mir drin ist eine Unschlüssigkeit, ein fast schon mürrisches Festhalten an meinen Zweifeln. So also ob ich die Kugel, diese Idee, sorgfältig und mühsam auf den Berg trüge, sie dann aber anstatt auf der anderen Seite herunterrollen zu lassen, festhalte, da oben blöd herum stehe und sie – nachdem ich die ersten Personen dafür begeistern konnte – schliesslich tatsächlich wieder heruntertragen wollte. Auf langen Serpentinenstrassen versteht sich. Ich weiss sehr wohl, dass es darum geht die Kugel loszulassen auf dass sie den schnellsten und direktesten Weg hinunter finde. Dass es gerade in der Kunst um dieses Zusammenspiel der Genauigkeit in den Details einerseits und des Geschehenlassens ohne jede Kontrolle geht. Dass ohne die Balance zwischen diesen beiden Seiten, die man jetzt noch sehr weit ausführen könnte, eben nichts entsteht, nichts beginnen kann. Das ist es ja auch was mich interessiert. Ich möchte die Kugel rollen lassen, ich freue mich schon am Anfang einer solchen Theaterproduktion auf den Moment, wenn bei der Premiere alles an den richtigen Ort fällt, wenn es dann beginnt und alle, die Künstler und das Publikum wissen, worum es geht.
Da ich mir dieser kleinen Gefühlsverwirrung bewusst bin und weiss, dass es wie bei Fausts berühmten Augenblick nicht darum geht zu verweilen, grüble ich nicht weiter nach, lasse mir aber doch – sozusagen als Erinnerung zum Schluss – Faust ins Gewissen reden: «Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! Du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!»(V 1699–1702).
Gianna Olinda Cadonau
Gianna Olinda Cadonau (*1983) befasst sich mit Kunst und Kultur. Die romanische fördert sie als Kulturverantwortliche bei der Lia Rumantscha, die Graubündnerische als Mitglied der kantonalen Kulturkommission und diejenige für die kleine Bühne als Co-Leiterin des Kulturorts La Vouta, Lavin. Schreibend, singend und Butoh tanzend gibt sie sich ihr auch selbst immer wieder hin. Zwischendurch und währenddessen lebt sie mit ihrer Familie in Chur.
Foto: Yanik Bürkli, Bündner Tagblatt
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