Bild: Dominik Brülisauer
Wenn man im Engadin unterwegs ist, dann begegnet man früher oder später einer prominenten Person. Das ist so sicher, wie man am Familienfest oder im Zoologischen Garten auf seine nächsten Verwandten trifft – immer wieder irritierend sind dabei diejenigen Verwandten, die einen lausen wollen oder mit ihrem Kot bewerfen. Sie führen einem damit klar vor Augen, von wem man abstammt. Und ja, ich meine damit nicht die Primaten, die im Zoo wohnen. Aber bevor ich noch weitere Details meiner letzten Weihnachtsfeier bei der Familie zum Besten gebe, möchte ich den Bogen zurück zu den Promis zu schlagen. Die Dichte an Promis ist im Engadin so gross wie die Dichte an Analphabeten unter den 20-Minuten-Lesern. Im Engadin stolpert man regelrecht über Prominente – in so Situationen sprechen wir von Promifallen. Ein normaler Tag sieht für einen Engadiner ungefähr so aus: Am Morgen schneidet dir George Clooney auf seinem Motorrad den Weg ab. Du denkst, dass das eine «Intolerable Cruelty» war und er «The Thin Red Line» dermassen frech überschritten hat, dass du jetzt am liebsten aus «Ocean’s 13» wieder «Ocean’s 12» machen möchtest. Bevor die Situation aber tatsächlich eskaliert, versuchst du dich beim Schwimmen abzureagieren. Im Hallenbad in St. Moritz kraulst du deine ersten Längen ab und fühlst dich mit jedem Schlag besser. Aber selbstverständlich springt fünf Minuten später Nicola Spirig in die gleiche Bahn wie du. Nachdem du sie innerhalb von sieben Minuten 23 Mal überholt hast, legst du ihr freundlich aber bestimmt nahe, doch bitte in eine langsamere Bahn zu wechseln. Als Olympiasiegerin wird sie sich das aber nicht bieten lassen und dich ignorieren. Du zeigst dich flexibel und gehst halt langlaufen. Und wie du mit einer unvergleichlichen Leichtigkeit über die Loipen ins Rosegtal fliegst, musst du plötzlich innerhalb von zwei Sekunden von gefühlten 87 km/h auf null abbremsen. Vor dir kämpft sich Angela Merkel den Berg hinauf. Du näherst dich ihr diskret und motivierst sie mit «Wir schaffen das». Später wird sie mit deinem Spruch berühmt und denkt nicht mal daran, dir jemals Tantiemen zu überweisen.
Wegen dem grossen Prominentendichtestress im Tal weichst du pünktlich auf den Nachmittag in die Höhe aus. Nachdem sich am Skilift auf der Corviglia Willy Bogner an dir vorbeigedrängt hat, denkst du, dass nur noch Alkohol diesen Tag retten kann. An der Schneebar flirtest du ein wenig mit Lindsey Vonn und unterstützt sie in ihrer Forderung, endlich mal bei den Männern starten zu dürfen. Du zeigst dich von deiner aufgeschlossenen zeitgenössichen Seite und erklärst ihr, dass deiner Meinung nach auch Hunde bei Pferderennen, Männer bei Misswahlen und Tintenfische in Katzenvideos mitmachen dürfen sollten – Geschlecht oder Spezies sollten keine Rollen mehr spielen. Du fährst bei Lindsey Vonn in der Ideallinie, machst keine Fehler und rast mit einer hervorragenden Zwischenzeit in Richtung Ziel. Aber plötzlich presst sich König Roger Federer zwischen euch und versucht sich in die Diskussion einzumischen. Da wir Engadiner zu den gastfreundlichsten Völkern der Erde gehören, lädst du die beiden auf einen Drink ein. Komischerweise entscheiden sie sich nicht für Calanda, sondern für Moët&Chandon. Danach bist du pleite. Wieder im Tal möchtest du im Pfandhaus deine Skiausrüstung gegen Bares eintauschen. Dort wiederum klaut dir Boris Becker den Vortritt. Du schaust ihn an und lässt ihn aus Mitleid passieren. Bevor dir im King’s Club Robbie Williams erneut über deinen Anzug kotzt, gehst du nach Hause und wunderst dich vor dem TV, warum die Moderatoren bei «Glanz und Gloria» so promigeil sind. Promis fühlen sich vom Engadin schon seit Urzeiten mehr angezogen als Daniel Bumann vom Rampenlicht. Man kann davon ausgehen, dass Ötzi, der berühmteste Österreicher, bereits seine Ferien bei uns im Engadin verbracht hat. Und falls das Jetset-Urgestein Vera Dillier eines Tages ihr persönliches erotisches Tagebuch veröffentlichen wird, werden wir in einem der ersten Kapitel bestimmt mehr über diesen Charmebolzen aus der Jungsteinzeit erfahren. Ein anderer Weltpromi ist ungefähr 5000 Jahre nach Ötzi zu uns ins Tal gekommen. Allerdings war Friedrich Nietzsche definitiv kein Sextourist. Schliesslich ist es kein Geheimnis, dass er von den Frauen ungefähr so viel gehalten hat wie ein Russischer Sportler von Dopinggesetzen. Seine erogene Zone war das Gehirn. Der grosse Denker hat sich von der Klarheit des Engadins zu philosophischen Höhenflügen inspirieren lassen. Seine Aphorismen müssen sich in Punkto Scharfsinnigkeit nicht hinter den geistigen Ergüssen von Sokrates, Jean-Paul Sartre oder Vujo Gavric verstecken. Seine Ferien hat Nietzsche in Sils verbracht. Dort steht heute noch das Nietzsche-Haus. Hier kann man übernachten, Ausstellungen besuchen und an intellektuellen Workshops teilnehmen. Eine der meistdiskutiertesten Fragen ist die, ob das Nietzsche-Haus schon vor Nietzsches Besuchen so geheissen hatte. Von einem anderen Weltpromi mit Affinität zum Engadin hat mir mein Grossvater erzählt. Mein Grossvater hat sein Leben lang bei der Standseilbahn Muottas-Muragl gearbeitet. Man kann sagen, dass sein Leben eine einzige Berg- und Talfahrt war – höhöhö. Als Kind habe ich ihn für ganz viele Sachen bewundert. Als zielgenauer Steuermann hat er es immer geschafft, die Bahn auf den Geleisen zu halten. Mit seinem guten Timing war er immer pünktlich in der Mitte der Strecke, so dass er die entgegenkommende Bahn am richtigen Ort kreuzen konnte. Und fasziniert haben mich auch seine Erzählungen über die weltbekannten Persönlichkeiten, die er befördern durfte. Neben zahlreichen unverdächtigen internationalen Schlagersternchen von anno dazumal, gehörte auch der Schah von Persien zu seiner Kundschaft. Aufgrund der Erzählungen meines Grossvaters habe ich mir damals mit meiner kindlichen Fantasie Mohammad Reza Pahlavi als exotischen Mann mit grossen schwarzen Augen und einem freundlichen Lächeln vorgestellt, der mit dem Handel von Gummibärchen oder dem Vertrieb von Wasserrutschen reich geworden war. Und weil sein Herz so gross war wie seine Schatztruhe, wollte er nicht gratis mit seinem Teppich auf Muottas Muragl fliegen, sondern das lokale Business unterstützen und mit der Bahn rauffahren. Leider war ziemlich das Gegenteil der Fall. Dass der Schah im Iran sein Volk ausbeutete und für übelste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war, habe ich erst viel später erfahren. Zum Glück haben wir den Schah von Persien nicht wie Friedrich Nietzsche mit einer eigenen Immobilie geehrt. Das Schah-von-Persien-Haus hätte eine schöne Fassade und einen dunklen Folterkeller. In diesem würden Besucher darüber diskutieren, ob Waterboarding oder DJ Antoine ein grösseres Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. Allerdings gibt es andere bekannte Besucher des Engadins, die durchaus ihr eigenes Gebäude verdient hätten. Das Charlie-Chaplin-Haus wäre eine Konditorei, in der man zur Begrüssung eine Torte ins Gesicht geknallt bekommt. Das Alfred-Hitchcock-Haus ist passenderweise ein Vogelhaus. Als Hommage an seinen wohl bekanntesten Film wird man in diesem Gebäude von einheimischem Federvieh wie Bartgeier, Tannenhäher oder Buntspechten in den Themen Nestbau, Eierwärmen und Mund-zu-Mund-Fütterung unterrichtet. Das Marlene-Dietrich-Haus wäre ein Wartesaal der RhB. Hier können sich die Besucher vom Stummfilmstar inspirieren lassen und einfach mal ruhig zu sein. Das Gunther-Sachs-Haus wäre eine Playboy-Mansion, die von einheimischen Häschen bevölkert wird. Zufälligerweise steht gleich daneben auch noch das Silvio-Berlusconi-Bunga-Bunga-Partyhaus.
Wegen dem grossen Prominentendichtestress im Tal weichst du pünktlich auf den Nachmittag in die Höhe aus. Nachdem sich am Skilift auf der Corviglia Willy Bogner an dir vorbeigedrängt hat, denkst du, dass nur noch Alkohol diesen Tag retten kann. An der Schneebar flirtest du ein wenig mit Lindsey Vonn und unterstützt sie in ihrer Forderung, endlich mal bei den Männern starten zu dürfen. Du zeigst dich von deiner aufgeschlossenen zeitgenössichen Seite und erklärst ihr, dass deiner Meinung nach auch Hunde bei Pferderennen, Männer bei Misswahlen und Tintenfische in Katzenvideos mitmachen dürfen sollten – Geschlecht oder Spezies sollten keine Rollen mehr spielen. Du fährst bei Lindsey Vonn in der Ideallinie, machst keine Fehler und rast mit einer hervorragenden Zwischenzeit in Richtung Ziel. Aber plötzlich presst sich König Roger Federer zwischen euch und versucht sich in die Diskussion einzumischen. Da wir Engadiner zu den gastfreundlichsten Völkern der Erde gehören, lädst du die beiden auf einen Drink ein. Komischerweise entscheiden sie sich nicht für Calanda, sondern für Moët&Chandon. Danach bist du pleite. Wieder im Tal möchtest du im Pfandhaus deine Skiausrüstung gegen Bares eintauschen. Dort wiederum klaut dir Boris Becker den Vortritt. Du schaust ihn an und lässt ihn aus Mitleid passieren. Bevor dir im King’s Club Robbie Williams erneut über deinen Anzug kotzt, gehst du nach Hause und wunderst dich vor dem TV, warum die Moderatoren bei «Glanz und Gloria» so promigeil sind. Promis fühlen sich vom Engadin schon seit Urzeiten mehr angezogen als Daniel Bumann vom Rampenlicht. Man kann davon ausgehen, dass Ötzi, der berühmteste Österreicher, bereits seine Ferien bei uns im Engadin verbracht hat. Und falls das Jetset-Urgestein Vera Dillier eines Tages ihr persönliches erotisches Tagebuch veröffentlichen wird, werden wir in einem der ersten Kapitel bestimmt mehr über diesen Charmebolzen aus der Jungsteinzeit erfahren. Ein anderer Weltpromi ist ungefähr 5000 Jahre nach Ötzi zu uns ins Tal gekommen. Allerdings war Friedrich Nietzsche definitiv kein Sextourist. Schliesslich ist es kein Geheimnis, dass er von den Frauen ungefähr so viel gehalten hat wie ein Russischer Sportler von Dopinggesetzen. Seine erogene Zone war das Gehirn. Der grosse Denker hat sich von der Klarheit des Engadins zu philosophischen Höhenflügen inspirieren lassen. Seine Aphorismen müssen sich in Punkto Scharfsinnigkeit nicht hinter den geistigen Ergüssen von Sokrates, Jean-Paul Sartre oder Vujo Gavric verstecken. Seine Ferien hat Nietzsche in Sils verbracht. Dort steht heute noch das Nietzsche-Haus. Hier kann man übernachten, Ausstellungen besuchen und an intellektuellen Workshops teilnehmen. Eine der meistdiskutiertesten Fragen ist die, ob das Nietzsche-Haus schon vor Nietzsches Besuchen so geheissen hatte. Von einem anderen Weltpromi mit Affinität zum Engadin hat mir mein Grossvater erzählt. Mein Grossvater hat sein Leben lang bei der Standseilbahn Muottas-Muragl gearbeitet. Man kann sagen, dass sein Leben eine einzige Berg- und Talfahrt war – höhöhö. Als Kind habe ich ihn für ganz viele Sachen bewundert. Als zielgenauer Steuermann hat er es immer geschafft, die Bahn auf den Geleisen zu halten. Mit seinem guten Timing war er immer pünktlich in der Mitte der Strecke, so dass er die entgegenkommende Bahn am richtigen Ort kreuzen konnte. Und fasziniert haben mich auch seine Erzählungen über die weltbekannten Persönlichkeiten, die er befördern durfte. Neben zahlreichen unverdächtigen internationalen Schlagersternchen von anno dazumal, gehörte auch der Schah von Persien zu seiner Kundschaft. Aufgrund der Erzählungen meines Grossvaters habe ich mir damals mit meiner kindlichen Fantasie Mohammad Reza Pahlavi als exotischen Mann mit grossen schwarzen Augen und einem freundlichen Lächeln vorgestellt, der mit dem Handel von Gummibärchen oder dem Vertrieb von Wasserrutschen reich geworden war. Und weil sein Herz so gross war wie seine Schatztruhe, wollte er nicht gratis mit seinem Teppich auf Muottas Muragl fliegen, sondern das lokale Business unterstützen und mit der Bahn rauffahren. Leider war ziemlich das Gegenteil der Fall. Dass der Schah im Iran sein Volk ausbeutete und für übelste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war, habe ich erst viel später erfahren. Zum Glück haben wir den Schah von Persien nicht wie Friedrich Nietzsche mit einer eigenen Immobilie geehrt. Das Schah-von-Persien-Haus hätte eine schöne Fassade und einen dunklen Folterkeller. In diesem würden Besucher darüber diskutieren, ob Waterboarding oder DJ Antoine ein grösseres Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. Allerdings gibt es andere bekannte Besucher des Engadins, die durchaus ihr eigenes Gebäude verdient hätten. Das Charlie-Chaplin-Haus wäre eine Konditorei, in der man zur Begrüssung eine Torte ins Gesicht geknallt bekommt. Das Alfred-Hitchcock-Haus ist passenderweise ein Vogelhaus. Als Hommage an seinen wohl bekanntesten Film wird man in diesem Gebäude von einheimischem Federvieh wie Bartgeier, Tannenhäher oder Buntspechten in den Themen Nestbau, Eierwärmen und Mund-zu-Mund-Fütterung unterrichtet. Das Marlene-Dietrich-Haus wäre ein Wartesaal der RhB. Hier können sich die Besucher vom Stummfilmstar inspirieren lassen und einfach mal ruhig zu sein. Das Gunther-Sachs-Haus wäre eine Playboy-Mansion, die von einheimischen Häschen bevölkert wird. Zufälligerweise steht gleich daneben auch noch das Silvio-Berlusconi-Bunga-Bunga-Partyhaus.
Dominik Brülisauer
Dominik Brülisauer ist 1977 geboren und in Pontresina aufgewachsen. An der ZHDK in Zürich hat er Theorie für Kunst, Medien und Design studiert. Momentan arbeitet er als Werbetexter, Kolumnist und Schriftsteller in Zürich. Die Bücher «Schallwellenreiter», «Der wahre Liebeslebensratgeber» und «Leben kann jeder» sind im Handel erhältlich. Er besucht das Engadin heute noch regelmässig um im Pöstli Bier zu trinken, auf der Diavolezza zu Snowboarden und um seiner Mutter seine Wäsche abzugeben.
facebook.com/dominikbruelisauer
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