Wie es sich anfühlt, „fremdzugehen“...
Unsere Bloggerin und Läuferin hat in diesem Sommer das Mountainbiken für sich entdeckt und berichtet in ihrem neues Blog über "Shreddern" und "Cruisen".
Keine Sorge, es geht hier nicht um eine tiefenpsychologische Partnerschaftsanalyse. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, dann ist eine Partnerschaft im erweiterten Sinne schon das Thema. Bringen wir es auf den Punkt: In diesem Sommer habe ich abends oft noch eine zweite Trainingseinheit eingeschoben und bin tatsächlich mit meinem, ich gebe es zu, nicht mehr ganz trendigem Bike, durch die Gegend gefahren. Ich habe aktiv Alternativsport betrieben. Genauer gesagt bin ich auf meinen geliebten Trailrunningstrecken mit dem Drahtesel rumgecruist. Anfangs kam ich mir schon seltsam und, sagen wir es mal, unsicher vor. Zum Glück hatte ich meine Trailrunningschuhe an, so dass ich im Zweifelsfall doch noch das Bike hätte am Baum stehen lassen und die Strecke laufenderweise zurücklegen können. Das muss man sich mal vorstellen. Bergauf fahren ist ja die eine Sache. Das erfordert Gummi in den Oberschenkeln und Windkraftwerke in den Lungen. Auf Forststrassen geht das ja noch ganz gut; aber sobald es technisch anspruchsvoller wird und der Weg mit kleinen Wurzeln oder grossen Steinen gepflastert ist, über die ich als Läuferin noch ach so gerne wie ein junges Reh rüber hüpfe, habe ich als Bikerin keine Chance. Abspringen und hoffen, dass die Landung im weichen Gras erfolgt, ist oftmals meine Devise. Es geht dann weiter mit dem Downhill, was von ganz vielen Mountainbikern ja als das ultimative Flowerlebnis beschrieben wird. Die Vorbereitung dazu: Sattel runter, Federung auf volle Pulle, Hintern nach hinten, Arme in Cowboy(-girl)-Stellung beugen. Und los. Und da sind sie wieder die vielen kleinen Wurzeln und grossen Steine, die mir als Läuferin doch noch so viel Spass machen. Irgendwie schaffe ich es, den Trail «runterzushreddern» (auch bei dieser Sportart gibt es durchaus ein eigenes Vokabular) und komme mit quietschenden Bremsen kurz vor einer Flussmündung zum Stehen. Mein Herz klopft, die Beine zittern. «Das will ich nochmal machen», schiesst es mir schlagartig durch den Kopf. Der Downhillvirus hat mich im Nu erwischt und die Flamme brennt. Ein paar Wochen später geht’s dann mit einer Tageskarte der Bergbahnen auf die Corviglia. Das alte Material habe ich gegen ein Bike mit einem Lenker so breit wie ein Traktor eingetauscht, und die Knie sind mit fetten Schonern gepolstert. Ich habe mich bunt wie eine Neonleuchtreklame angezogen, damit ich auf alle Fälle schon mal vom Style her eine gute Figur mache. Und falls ich doch mal vom Weg abkommen sollte, zieht dieser bunte Fleck in der kargen hochalpinen Landschaft doch sicherlich jegliche Aufmerksamkeit auf sich. Es ist ja nicht meine erste Abfahrt mit dem Bike über die Trails hinunter ins Tal. Vor rund elf Jahren war ich schon einmal kurzzeitig im Bikefieber und shredderte damals schon (ohne Schoner und ohne volle Federung) die Wanderwege (so hiessen die ja früher noch) bis nach Poschiavo auf den Gleisen der Rhätischen Eisenbahn hinab. Doch nun auf der Corviglia ist alles anders. Die Bikestrecken sind bestens präpariert und mit etwas Mut lege ich mich steil in die Kurven, so dass das Angstschweiss aus den Ärmeln rinnt. Ich kann es nicht mehr genau beschreiben, welche Gefühle ich an diesem Tag «Downhill biken auf der Corviglia» gespürt habe. Mir gingen den ganzen Tag die wildesten Rock’n’Roll-Lieder durch den Kopf, und eine Melodie von Freiheit und Unbeschwertheit tanzte im Rhythmus des Gerölls. Auch wenn ich sicherlich hier und da absteigen musste, um die Kontrolle über die Schwerkraft aufrecht zu halten, hatte ich die Sonne im Herzen und das Lachen im Gesicht. Die Flamme der Begeisterung loderte und in dem Fall hatte sich das «Fremdgehen» gelohnt. Durch das Ausprobieren einer neuen Sportart eröffnet sich ein neuer Horizont und jede Erfahrung, die man dadurch macht, bereichert das alltägliche Leben ungemein. In diesem Sinne: go and ride your bike! Mein Musiktipp: https://www.youtube.com/watch?v=iv8GW1GaoIc /blog/uploads/AM1.jpg/blog/uploads/AM2.jpg/blog/uploads/AM3.jpg
Anne-Marie Flammersfeld
Anne-Marie Flammersfeld ist Diplom-Sportwissenschaftlerin, Personal Trainerin und hat einen BSc. in Psychologie. Sie hält einige sportliche Rekorde. So konnte sie 2012 als erste Frau der Welt alle vier Rennen der «Racing the Planet 4 Deserts Serie» gewinnen und lief 1000 Kilometer durch die vier grössten Wüste der Welt. Sie ist in 8h32 auf den Kilimanjaro gelaufen und konnte den damaligen Weltrekord um gute drei Stunden verbessern. Am Nordpol war sie auch und ihr Streckenrekord steht immer noch bereit, um eingeholt zu werden. Die 1978 geborene deutsche Sportlerin arbeitet mit ihrem Unternehmen all mountain fitness in St. Moritz und dem Engadin. Als Personal Trainerin ist sie für alle da, die etwas Nachhilfe in Sachen Bewegung brauchen! Aber immer mit einem Augenzwinkern. Sie hält regelmässig Vorträge zu Themen aus den Bereichen Motivation, Begeisterung und Grenzen überwinden.
www.allmountainfitness.ch
annemarieflammersfeld.blogspot.com
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