Neulich las ich Zeitung, eine national führende. Und da lese ich, dass ein Zürcher Opernsänger beste Chancen hat, Gemeindepräsident von St. Moritz zu werden. Als in St. Moritz Arbeitender denke ich: Wow, das ist wahrlich extravagant, wenn sich eine Gemeinde solch kulturell hochgebildetes Führungspersonal leisten kann.
Als in Pontresina Wohnhafter denke ich: Hmm, so wird Pontresina nie in den News stehen. Hier sind Gemeindewahlen noch Gemeindewahlen: nämlich langweilig. Gemeindepräsident Martin Aebli sitzt fest im Sattel, er ist bereits 14 Jahre Gemeindepräsident. Und man kann sich gut vorstellen, dass er diesen Job noch weitere zehn Jahre ausübt. Mindestens. Er wird mit Anteilen gewählt wie Wladimir Putin in Russland. Bei den letzten Wahlen votierten 86 Prozent für ihn, es gab keinen Gegenkandidaten oder eine Kandidatin. Faktisch wählten ihn zwar nur 17 Prozent der Stimmberechtigten, da sich die meisten nicht die Mühe nehmen, an die Gemeindeversammlung zu gehen, selbst wenn Wahlen sind.
Warum auch, der Aebli macht es ganz gut und es läuft ja rund in Pontresina. Viele Familien wohnen hier, es hat Leben im Dorf, an den Laret-Märkten kommt das ganze Engadin zu Besuch, die Infrastruktur ist top, es werden die richtigen Investitionen getätigt, der Tourismus entwickelt sich positiv, die Logiernächtezahlen sind stabil. Wir Pontresiner lassen uns dies auch einiges kosten: 85 Prozent beträgt der kantonale Steuerfuss, in St. Moritz sind es 60 Prozent. Und für das, was weniger gut läuft im Dorf, bildet sich keine Next Generation, die medienwirksam auf den Tisch klopft. Das spricht für Aebli, der es schafft, es allen irgendwie recht zu machen, auch den Jungen, oder es zumindest versteht, es allen recht zu reden. Selbst wenn sich eine «Super Generation» aus Linard Bardill, Beppe Grillo, Viktor Giacobbo und Roger Federer aufstellte, würde Martin Aebli gewählt, denn er weiss wie kein anderer, wie hierzulande der Polithase läuft.
Warum schreibe ich das? Weil Aeblis politisches Talent auch mit dem derzeitigen Wahlkrimi von St. Moritz zu tun hat. Der Vorwurf, der jetzige St. Moritzer Gemeindepräsident habe wenig Durchsetzungskraft in regionalen Gremien, hat viel mit der Führungsstärke von Martin Aebli zu tun. Er gibt nicht nur in Pontresina den Ton an, sondern auch in der Region Maloja und ist auch in Chur ein politisches Schwergewicht und bestens vernetzt.
Liebe St. Moritzerinnen und St. Moritzer, ihr solltet euch nicht deswegen erhitzen und womöglich in falschem Stolz verletzt sein, neidisch auf Pontresina blicken und meinen in St. Moritz sei deshalb – angeblich – so vieles schlecht, sondern freut euch! Je mehr fähige Leute sich für unser Tal einsetzen umso besser. Und noch besser wird es, wenn wir uns alle gemeinsam für eine Sache einsetzen. Dann kann sich tatsächlich etwas verändern und Gutes entstehen.
Darum sind die Wahlen in St. Moritz auch für Pontresina und das ganze Tal so wichtig. St. Moritz ist der Leuchtturm des Engadins und damit wichtigster Sendekanal für die Anliegen der gesamten Region. In diesem Sinne war und ist der aktuelle Wahlkampf eine Wohltat. Er verkündet: Es bewegt sich was in St. Moritz. Auch die Jungen engagieren sich. Probleme werden offen angesprochen und debattiert. Und das Schöne: Der Humor und Respekt ging bei beiden Kandidaten nie verloren. Das lässt hoffen, wie auch immer die Wahlen ausgehen.
Also liebe Stimmberechtigte von St. Moritz, geht wählen, wenn ihr dies noch nicht getan habt. Und denkt daran: Martin Aebli steht nicht zur Wahl.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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