Alter Skilift, Räder in den Himmel fotografiert. Foto: Ruth Bossart
Skifahren von Istanbul aus ist etwas aufwändig. Was nicht heisst, dass ich es nicht dennoch versuchte und – wie die meisten Einheimischen - ins Nachbarland Bulgarien flog. Nach Sofia, dann mit dem Bus nach Borovets. Natürlich hatte ich den Ort vorher auf Google Maps lokalisiert, denn gehört hatte ich davon noch nie. Obwohl: Der Ort trug sogar Weltcup-Rennen aus. Aber das ist lange her, damals versperrte der Eiserne Vorhang die Sicht auf diese Ereignisse. Doch in Hotelhallen und Après-Skibars des Kurortes zeugen vergilbte Aufnahmen heute noch von diesen gloriosen Zeiten. Am Ankuftsabend studierte ich die Fotos, schwelgte in Erinnerungen. Ja – die 1980-er Jahre, damals trug auch ich – so wie die Rennfahrer - statt einen Helm lediglich eine Strickmütze, Carving-Skis waren unbekannt, den Slalom fuhr man im Wollpulli.
Panorama Borovets
Erwartungsfroh warteten wir am nächsten Morgen im Sportgeschäft auf unsere vorreservierte Skiausrüstung. Ich mag es, neue Skigebiete auszukundschaften. Boris hinter dem Tresen und Herr über tonnenweise Skis musterte uns von Kopf bis Fuss. In English mit hartem Akzent eruierte er unser Fahrkönnen, Schuhgrösse und Gewicht. Von unserer Onlinereservierung hat er nichts gehört, der Computer ist seit Tagen kaputt. Virus – you know? Aber: No problem. Zwei Minuten später bringt er uns alles. Meine Skischuhe waren orange mit Silberschnallen, und die Skis von Rossignol mit Tyrolia-Bindung erinnerten mich an meine Teenager-Tage. Ich staunte nicht schlecht, als ich auf dem einen Stock den Kleber „Ochsner Sport“ entdeckte. Kein Wunder – Boris kauft regelmässig ausrangierte Mietskis in der Schweiz zusammen. Nach einem ersten Stirnrunzeln stülpten wir uns die antiken Skischuhe über. Helme? No problem – versichert uns Boris wieder. Vorrätig hat er sie allerdings erst morgen. Denn: In Borovets fährt man noch heute mit Strickmützen – auch die Skilehrer, die Pistenkontrolleure, selbst die Junioren des örtlichen Skiclubs.Blauer Helm
Flexibilität und vor allem Geduld war an der Talstation gefragt. Die orange-farbenen Vierergondeln sind der einzige Zugang zum Skigebiet und kommen schnell an die Grenzen der Kapazität – vor allem an einem schönen Wintertag. Die Warteschlage reicht bis in die Hauptstrasse des Dorfes runter. Auch hier holte mich die Erinnerung ein: 30 Minuten Warten am Skilift oder der Gondelbahn – das war in Zeiten vor den Achter-Hochgeschwindigkeitsliften eigentlich nicht selten, oder? Ausser uns fanden das nur wenige stossend und so beschlossen auch wir, uns nicht über die Schlange zu ärgern und stattdessen mit den Mitwartenden zu radebrechen. Bulgaren sprechen oftmals etwas Französisch, die älteren alle ausnahmslos Russisch. Nach 45 Minuten Anstehen, wussten wir, wo es die besten Wildschweinswürste gab in Borovets, wo die Massage nur halb so teuer ist wie im Hotel aber besser und auch zum Apres-Ski waren wir verabredet. Zufrieden zwängte ich mich schliesslich in die Gondel. Abgefertigt wurde sie von einem Bahnmitarbeiter, der uns einen schönen Tag wünschte.Orange Gondel
Ein Flashback etwas später auf dem Berg – mit schierem Unglauben bestaunte ich die zig Räder, die sich an der Talstation des Tellerlifts in unterschiedlichen Geschwindigkeiten drehten. Alle vor 1980 geborenen kennen dies Anlagen wohl noch; diejenigen mit einem Bügel mit Stange, der wie ein störrischer Esel leichtgewichtige Sportler durch die Lüfte wirbelt und bei denen jeder Bügel manuell ausgelöst werden muss. Um die Kapazität zu erhöhen, schleppten zwei Lifte parallel die Fahrer hoch. Der linke war etwas schneller, und ich wurde doch tatsächlich von zwei Menschen überholt. Die modernste Anlage in Borovets ist ein Dreier-Sessellift mit einem fahrenden Teppich, auf dass die Sessel nicht wie bei allen anderen Anlagen einem in die Waden rasen. Für weitere Erneuerungen fehlt das Geld – erst kürzlich sei wieder ein Investor ausgestiegen, ein reicher Russe. Auch das haben wir in der Warteschlange vernommen. So sehr ich natürlich Verständnis habe für die Klagen der Einheimischen, die gerne ein St. Moritz von Bulgarien wären: Ich habe einmalige Ferien verbracht. Die entschleunigte Variante des Skifahrens mit intakter Natur, Retrocharme und museumsreifen Anlagen sind perfekt. Aber wohl einfach darum, weil ich die Wahl habe. Übrigens: Ich freue mich schon heute auf meine Skiwochen im Dezember im Engadin.Ruth Bossart
Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.
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