Wie die dreijährige Lulu, das Leben unserer Bloggerin Romana Ganzoni auf den Kopf stellt. Foto: Romana Ganzoni
Wir hatten ein gutes Leben, jetzt haben wir einen Hund. Einen Welpen. Einen Mopswelpen. Eine Möpsin. Drei Monate alt. Sie heisst Luisa. Wir rufen sie Lulu. Rabenschwarz ist sie, mit Nase. Das war uns wichtig. Dass der Mops eine Nase hat. Wie früher. Wie vor 100 Jahren. Erst später wurden Möpse zu flachgesichtigen Schweratmern gezüchtet. Warum eigentlich? Weil es den Hund noch clownesker erscheinen lässt, als sein Naturell es ist? Vielleicht. So viele Falten! Dieses Grunzen! Das ist doch kein Hund! Das ist eine Mischung aus Ferkel, Katze und Frosch. Wie eigenartig, wie lustig, wie grotesk! Hübsche Damen pflegten sich mit diesen seltsamen Kreaturen porträtieren zu lassen, um ihre eigene Anmut zu unterstreichen. Sie bedachten nicht, dass die Welt nur auf den Mops schaut. Zu dieser Welt gehören auch wir, denn wir schauen seit Kurzem einzig auf den Mops, Wegschauen hiesse: die Katastrophe billigend in Kauf nehmen. Lulu atmet also frei, so frei wie sie furzt, und sie kann rennen, grade wie ein italienisches Windspiel, die Läufe sind bei den sogenannten altdeutschen Möpsen höher, der Hals ist länger, die Augen geschützt. Alles andere ist beim Alten geblieben, die rasseimmanente Sturheit zum Beispiel. Wenn es regnet, geht Lulu nicht vor die Tür. Sie steht auch bei Sonnenschein plötzlich bockstill in der Fussgängerzone - bis sie aufgehoben wird. Sie macht nach dem langen Spaziergang gutgelaunt ins Haus, fest und flüssig, gerne mehrmals. Direkt neben den Fressnapf des alten Hundes, der sie gutmütig aushält. Als ich letzte Woche im Gang mit dem rechten Fuss auf ihrem Haufen ausrutschte, machte sie neben dem linken Fuss einen frischen Haufen, den ich erst entdeckte, als der Fuss des Mannes darin versank. Sie klaut meine Socken, beisst knurrend in die nackten Füsse. Sie frisst Katzen-, Mäuse-, Hunde- und Pferdescheisse, leckt mir geräuschvoll das Gesicht ab, dann kneift sie mit ihren Milchzähnchen kräftig in meine Wange. Ich schreie. Sie rennt weg. Vor ein Fahrrad, freudig wedelnd. Vor einen Traktor, erwartungsvoll. An den Fluss. An jeden Abgrund. Sie vertreibt den Kater und frisst triumphierend sein Futter. Sie versteckt sich. Sie nagt an allen Möbeln. Sie nagt an Büchern und zerfetzt Zeitungsartikel, die ich aufgehoben habe. Freund R. sagt, sein Hund habe damals die Gesamtausgabe von Lenin verspeist. Das passt. Denn Welpen errichten eine Parteidiktatur. Sie sind die Partei. Die Partei der freien Fresser, Furzer und Kacker. Mit Nase. Aber ohne Stil und Scham. Und wir lachen darüber. Manchmal. Wir sind Dienerinnen und Parteisoldaten. Die ganz unten. Die Basis der Pyramide, die Jööö-Sager und Herzig-Finderinnen. Der Rest der Pyramide ist Lulu. Wir dienen und folgen im Laufschritt dem Kindchenschema, mit dem sie uns erfolgreich führt. Nach jedem Akt der Zerstörung, des Verweigerns, des Diebstahls, des Abhauens, der Verschmutzung schaut sie uns mit schräggestelltem Köpfchen zuversichtlich an, und wir geben ihr einen Kuss auf dieses Köpfchen, denn wir wissen: Kein Mensch wird sich je so übertrieben und ausdauernd, wie eine Feder springend und dazu jaulend, über unsere Existenz freuen wie Luisa, the Mistress of Disaster and Celerina, unsere schwarze Diktatorin auf Lebenszeit. Untergang, wir füttern dich fröhlich weiter.
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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