Foto: Romana Ganzoni
Eine Liebesgeschichte
Eine Münchenfahrt per Zug hat einen Riesenvorteil: Der Mensch, der aus Graubünden anreist, steigt in St. Margrethen um, und nicht nur das: Der Mensch aus Graubünden hat eine halbe Stunde Wartezeit.
Am Bahnhof gibt es einen Migrolino, aber da lässt sich der stilvolle Mensch aus Graubünden niemals nieder, es zieht ihn in den Pöstli-Snack gegenüber, ein wunderbares Zuhause für alle, die Ruhe suchen – oder Krach, aber so richtig. Dass es tätscht und chlöpft. Halbe Sachen gibt es hier nicht. Der Kaffee ist auch grauenhaft, das weiss ich vom letzten Mal, aber ich finde: besser grauenhaft, als mittelschrecklich, so wie ich besser finde, etwas ist supergut, als recht okay. Ach, was: Im Pöstli-Snack, St. Margrethen, könnte der Kaffee auch mittel mittel sein, der Ort bliebe hottester Shit in ganze Schweiz, Mann!
Hier ist zuerst mal alles verboten, zwei grosse Tafeln machen darauf aufmerksam: Der Vorplatz vor dem Snack, das ist ein extrem privater Parkplatz. Die Lache vor mir besteht sicher aus Tränen all derer, die nichts lieber getan hätten in ihrem kurzen Leben, als hier zu parkieren, doch – khasch nid läsa, du Vollhonk! – maximal privat!
- Aber aber, da ist doch der Pöstli-Snack, eine Art Restaurant?
- Ja, und? Khasch nid läsa?
- Okay.
Diese Konversation wurde nie geführt, dafür schiss mich die durchtätowierte Grazie, die vor dem Lokal schlotete, zusammen, als ich den grossartigen Pöstli-Snack fotografierte, inkl. Parkplatz mit Parkverbot – für Instagram. Zu Werbezwecken, dumme Kuh, dachte ich. Aus Liebe!
- Suchen Sie etwas? Hä?, herrschte mich die Kellnerin - in einer Rauchschwade wandelnd - an.
- Und wenn? Hä? (dumme Kuh!)
- Frage ja nur...
- Ja, ich tenk auch (dumme Kuh!).
Sie ging rein. Ich folgte ihr, setzte mich an die hotteste Bar der Schweiz, hey, nein, in das ganze Europa. Und ich fotografierte die hottesten Polyestervorhänge von Welt.
- Keine Gäste fotografieren!, zischte sie hinter dem Tresen in meine Richtung.
- Habe ich nicht vor, Sie unruhige junge Frau.
- Bin ich das?
- Ja.
- Ach sooooo.
- Ja, sooooo. Gehen Sie doch zur Polizei, anstatt mich anzupampen, Sie Polizistin!
- Vielleicht mache ich das ja, ha-ha-ha-ha-ha
- (um mich festzunehmen zu lassen, schon klar, ha-ha-ha-ha-ha)
Ich bestellte einen Kaffee Creme und schnitt einen Grind, einen Riesengrind, ich kann das, meine DNA ist aus dem Prättigau. Es fühlte sich toll an. Nicht nett sein müssen und eine tolle Sparringpartnerin zu haben, die jetzt nieste. Sie war heavy erkältet. Das gönnte ich ihr. Aber ich sagte aus Gewohnheit: Viva! (und erschrak). Sie sagte so kurz wie man „Danke“ sagen kann, Danke. Ich glaube, sie sprach nur die Konsonanten aus: Dnk. Ich wollte Bitte sagen, ebenfalls einzig mit den Konsonanten: Btt! Btt, dmm Kh!
Sie beobachtete mich, ich beobachtete sie, beide stierten aus den Augenwinkeln, wir konnten das super, keine mittelprächtigen Kontrollen, volle Kontrolle der Feindin und supergut, wir waren zur Exzellenz geboren.
Ich dachte, du denkst, ich sei harmlos, weit gefehlt, ich kann Street, mache dich fertig. Dazu brauchte ich Verbündete. Mist! Das war unmöglich, ich konnte niemanden rekrutieren in einer lumpigen halben Stunde. Die Grazie hingegen kannte alle Pensionierten und Verkrachten per Namen, ich war total neidisch. Die wusste natürlich auch, was die konsumierten. Hoi Sepp! Hoi Heiri! Hoi Richi! Sie hat die Zombies auf ihrer Seite, dachte ich und lächelte die Sepp-Heiri-Richi-Truppe an, so sympathisch wie möglich. Locker bleiben, locker bleiben!
Ich musste mich in maximal kurzer Zeit einschleimen, mein Lächeln war ein höllischer Krampf, die dachten wohl, ich sei aus einer Anstalt ausgebrochen, die liessen sich nicht ansatzweise auf meine falsche Freundlichkeit ein ( ,was ich irgendwie verstand), sie hielten zu der Zwetschge. Heimvorteil. Zombies und Zwetschge. Viele kleine Geheimnisse und voll long story. Die waren Community. Pfui Teufel!
Das erfüllte mich mit Sehnsucht. Ich wollte auch dazugehören.
- Aber Romana, du kannst doch das gar nicht mit den Cliquen und so. Wenn mehr als drei Leute zusammensitzen, findest du, das sei eine faschistisch angehauchte Massenbewegung.
- Hier ist das halt anders, sagte Romana zu Romana, das ist attraktiv für mich, hier würde ich gerne dazugehören, hier ist es gut, richtig richtig gut, hier möchte ich schreiben, hier blühe ich auf, hier werde ich poetisiert. Kann es jetzt auch nicht erklären.
Der Zug nach München fuhr in zehn Minuten los, und ich hatte, obwohl ich das Düster-Schauen unterdrückte und die alten Säcke anstrahlte, nichts erreicht. Nichts! Da holte ich zum infamen letzten Schlag aus, zum Armageddon für Eilige. Ich fragte nicht die Zwetschge, was der Kaffee kostet, ich fragte den Anführer der Pensionierten, der krächzte grimmig: 3.80. Hoffentlich habe ich es genau, der gebe ich keinen Rappen Trinkgeld, der Viper. Ich pickte die 3.80 raus, machte Münz-Häufchen auf der Theke und war tief befriedigt.
- Sie kam mir entgegen und sagte: Schönes Wochenende!
- Ich sagte: Gute Besserung!
Sie strahlte mich an. Ich strahlte zurück. Wir strahlten. Und strahlten. Und strahlten. Wetten, unsere Herzen waren warm? Oder heiss? 220 Grad Celsius, Umluft, nach 15 Minuten sind die Herzen durch, dann können wir sie einander anbieten. Ich hörte einen kleinen fetten Engel singen, wunderschön. Das ist das neue 30, dachte ich. Zum Glück musste ich gehen, Romantik halte ich nicht lang aus. Aber ich komme so bald wie möglich wieder. Sie wartet bestimmt auf mich. Denn das hier ist echte Liebe, nicht so neumödischer Plunderzirkus.
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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