Alles blau oder was? Bild: Carla Sabato
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wo sich die Peripherie der Menschheit befindet? Also der Ort, an dem Menschen nicht ihr Alltagsverhalten zur Schau stellen, sondern frei und ohne Hemmungen tun, was ihnen gerade in den Sinn kommt? Ich glaube, ich habe ihn gefunden: Er liegt vor einer blauen Box. Das ist mein Arbeitsort. Genauer ausgedrückt ist diese blaue Box eine mündliche Auskunftsstelle, die den Leuten erklärt, wo sich verschiedene Räume befinden. Soweit so gut.
Allerdings gibt es viele Menschen, welche andere Auskünfte verlangen, getreu dem Motto: Man kann’s ja mal versuchen. Es gibt Menschen mit einem Bedürfnis nach Diskussionen, zum Beispiel darüber, ob sich in Skopje ein Schweizer Konsulat befindet oder nicht - und darüber, wo sich die Kinder jetzt gerade in diesem Moment aufhalten könnten. Andere vertreten das Bedürfnis, jemanden zum Reden zu haben, wie die ältere Frau, welche mir von ihrem Internet zu Hause erzählte. Andere möchten grundsätzlich Dampf oder Ärger ablassen - Konkretes erwähne ich an dieser Stelle lieber nicht. Dann gibt es Leute, welche keine Dienstleistung sondern gerne materielle Dinge hätten. Die Auskunftsstelle sollte prinzipiell immer Scheren zum Kürzen von Blumen, Christbaumkugeln oder kleine Fussbälle, Ibuprofen, Bedienungsanleitungen zu SIM-Karten und PDF’s zum Mitnehmen da haben. Dann gibt es da noch die Charmeure, die einen mit Gemälden von Vermeer oder Hildegard von Bingen vergleichen oder auf der Suche nach dem perfekten Apfel sind.
Zum Schluss gäbe es noch solche, welche sich Sorgen darum machen, dass man nicht genügend Bewegung am Arbeitsplatz bekommt. Diese Sorge war getarnt als Wunsch, doch bitte ein Vergleichsportal mit Hotelzimmern durchzuscrollen. Da ich allerdings nicht im gewünschten Tempo scrollte, bediente sich der Fragende kurzerhand selbst: über den Tresen gelehnt, während ich in einer quasi-Yoga Position verharren musste bis er fertig war. Manche Arbeitskollegen hatten bereits unverhoffte Sprachprobleme, die sie dazu genötigt haben, mit Google Translate zu sprechen oder eine Lateinübersetzung zu performen. Alles schon passiert.
Ich frage mich manchmal, was Menschen dazu verleitet, ihre Anfragen an ganz offensichtlich nicht qualifizierte Stellen zu richten. Ist es der öffentliche Raum der Anonymität schafft, sodass sich alle mit ihren Fragen in Sicherheit wiegen? Ähnlich wie im Internet auf Foren wie gutefrage.de ? Oder die blosse Möglichkeit, dass da jemand sitzt, der den Problemen anderer Leute quasi nicht davonlaufen kann? Ich bleibe jedenfalls dran. Bis dahin bleibt die ganze Sache interessantes Anschauungsmaterial.
Kommen Sie also gerne beizeiten vorbei und bestaunen Sie gemeinsam mit mir, was sich vor der blauen Box auftut.
Carla Sabato
Carla Sabato ist Studentin, ehemalige Praktikantin bei der Engadiner Post, Hobbyfotografin (liebend gerne in der Dunkelkammer), stolze Vegetarierin, Yoga-Praktizierende, Verfechterin gemässigter Klimazonen, Frühaufsteherin, Hundehalterin, Pragmatikerin, schwarze Rollkragenpullover Trägerin, Teilzeit Existentialistin, Raus-aber-richtig-Frau, schlechte Autolenkerin und Möchtegern-Vancouverite.
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