Tagsüber Diamanten klar, nachts in allen Farben: der Welt höchste Wasserfall auf dem Flughafen in Singapur. Fotos: Ruth Bossart
Wer nicht weiss, was los ist, glaubt sich auf einem Filmset. Unter einer gigantischen Plastikhaube, einer Raumstation eines Science Fiction Streifens nicht unähnlich, stürzt mitten auf dem Flughafengelände eine 43 Meter lange Wassersäule nieder. Rundherum ein dichter Wildwuchs aus Palmen, Gummibäumen und sonstigem Gesträuch. Die Shuttlezüge, die die Flughafen-Terminals miteinander verbinden, fahren mitten durch dieses Wunderland. Völlig unerwartet und verwundert staunte ich kürzlich – im Transit von Australien nach Indien - aus dem Zugsfenster und vergass in der Verwunderung, meinen Koffer festzuhalten. Doch: Was zunächst verwirrlich anmutete, entpuppt sich als perfekter PR-Trick. Natürlich will auch ich genauer sehen, was ich aus dem Shuttle nur erhaschen konnte: Den Welt höchsten Indoor-Wasserfall plus Dschungelpflanzen mit Lichtshow und – typisch Singapur - gigantischem Shopping Center. Die Singapuri nennen das alles «Jewel».
Der Ansturm auf das Juwel war noch Tage nach der offiziellen Eröffnung ungeheuerlich. Ordnungskräfte versuchten, den Besucherstrom zähmen. Touristen, die glaubten, ihre Transitzeit im Flughafen mit einem Besuch des Sturzbaches zu verkürzen, verpassten wegen den langen Warteschlangen und dem Chaos gar ihre Anschlussflüge. Das Juwel unter einer gigantischen Haube, in der im tropischen Inselstaat erfrischende 23 Grad herrscht während draussen innert Kürze das T-Shirt am Rücken klebt. Offenbar soll das Jewel dank neuster Technik zwar nicht gerade energieneutral sein, aber dennoch halbwegs vernünftig bezüglich Wasser- und Stromkonsum – sagen die Verantwortlichen. Ich sitze auf einer Bank und schaue dem Treiben fasziniert zu – den Leuten, die ihre Grosskoffer durch den Dschungel rollen, die Enkelinnen, die ihre Grossmütter im Rollstuhl möglichst nahe an den Wasserfall karren, all die Selfie-Stangen, die ausgefahren werden, um Orchideen in Makro und Grossfamilien im Gegenlicht zu knipsen. So richtig bunt wird es nachts, wenn die Kunstwelt mit violett, blau und rot bestrahlt wird. Alle paar Stunden gibt es eine Lichtshow mit Musik. Pinke Palme. Blutroter Wasserfall. Hellblaue Gummibäume. Wir Menschen sind schon eigenartige Wesen. Bauen uns romantische Natur, nachdem wir die ursprüngliche verschmutzt und kaputt gemacht haben, bestrahlen die Kunstwelt mit rot und blau, statt uns am natürlichen Grün satt zusehen. Und zum guten Schluss beschallen wir das ganze mit Beats vom Synthesizern und reduzieren das Rauschen des Wasserfalles auf WHO-normiertes, medizinisch unbedenkliches Niveau. Da wirkt der ohrenbetäubender Lärm von den Flugzeuge auf dem nahen Flugfeld fast natürlicher.Ruth Bossart
Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.
Diskutieren Sie mit
Login, um Kommentar zu schreiben