Ich bin am Bahnhof, für einmal rechtzeitig, und habe genügend Zeit, um noch ein Brötli und ein Getränk zu kaufen. Dann gehe ich entspannt zum Billettautomaten, tippe mein Reiseziel auf den Touchscreen, doch beim Zahlvorgang hängt sich das System auf. Kein Problem, ich versuch‘s beim nächsten Automaten, auch dieser versagt seinen Dienst. Langsam werde ich nervös. Ich gehe in den Untergrund, wo weitere Automaten stehen, aber auch hier habe ich keinen Erfolg. Was tun? Um an den Schalter zu gehen, reicht die Zeit nicht mehr, und meine SBB-App funktioniert blöderweise auch nicht. Soll ich einfach in den Zug steigen und dem Kondukteur meine Geschichte erzählen, die er mir möglicherweise nicht abkauft? Ich überlege hin und her und hin und her, bis mein Zug ohne mich abfährt; der nächste fährt in einer Stunde und ist ein Bummler. Grundsätzlich bin ich eine sehr gelassene Person, aber normalerweise schimpfe auch ich in so einer Situation. Heute nicht, obwohl ich einen Termin verpasse. Irgendwie fühle ich mich befreit und freue mich, dass ich nochmals eine Stunde Zeit habe. Ich rufe meine Frau an und verabrede mich mit ihr in einem Café. Um sicher zu gehen, dass ich den nächsten Zug erwische, probiere ich nochmals ein Billett zu lösen – nun funktioniert der Automat einwandfrei! Anschliessend haben meine Frau und ich ein super Gespräch und klären einige offenen Fragen. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar, dass die Billettautomaten zur besagten Zeit nicht richtig funktioniert haben und reise mit einem guten Gefühl ab. Während der Zugfahrt stolpere ich über einen Artikel, der sich mit dem Thema «Danken» befasst. Demnach sind dankende Menschen glücklicher, zufriedener und ausgeglichener als schimpfende Menschen, da regelmässiges Danken den Fokus weg von sich selbst und auf andere legt. Und da man nicht immer weiss, an wen man seinen Dank richten soll, erkennt man im Danke sagen, dass es noch etwas Höheres gibt als bloss die eigene Existenz. Im Artikel wird auch ein Buch von Arnold Stephen Jacobs erwähnt. Der amerikanische Journalist liebt Selbstexperimente und verarbeitet diese in Büchern. In «A Thousand Thanks» entscheidet er sich, allen zu danken, die mitgeholfen haben, dass er morgens eine Tasse Kaffee geniessen kann. Er reist dazu, um die ganze Welt und dankt: Kaffeebauern; denen, die den Kaffee verpacken; den Herstellern und Designerinnen der Verpackung; den Lastwagenfahrern, die den Kaffee transportieren; aber auch den Bauarbeitern, welche die Strasse gebaut haben; den Politikerinnen, die den Strassenbau in Auftrag gegeben haben und so weiter und so fort. Sein Fazit: Richtig Danke sagen, ist ein grosses Abenteuer, das Menschen rund um die Welt verbindet. «Alle Billette vorweisen, bitte», ruft die Kondukteurin. Mit meinem freundlichsten Lachen zeige ich mein Billett und bedanke mich recht herzlich, dass ich dank ihr so bequem reisen kann.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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