Neulich war ich nichtwählen. Ich gebe zu, dass ich zu den 57 Prozent der Bündner Nichtwähler gehöre – also zur grossen Mehrheit! Da die «Partei» der Nichtwähler naturgemäss keine Parlamentarier stellen darf, macht nichtwählen natürlich wenig Sinn. Es ist bestenfalls ein Indiz für die Qualitäten der Kandidatinnen und Kandidaten, die sich zur Wahl gestellt haben. Warum also habe ich nicht gewählt? Während des Wahlkampfs konnte ich mich für keine Partei erwärmen und wie einige Leser wissen, schiebe ich gerne Sachen auf. Ich bezeichne mich als Last-Minute-Wähler, der sich beim Frühstück am Wahlsonntagmorgen doch noch für eine Parteiliste entscheidet und das Stimmcouvert um etwa 11.45 Uhr persönlich auf die Gemeindekanzlei bringt, wo die Stimmenzähler schon fleissig beim Auszählen sind. Dies hat den Vorteil, dass ich noch einen kleinen Schwatz mit dem Gemeindepräsidenten oder dem Kanzlisten halten kann. In diesem Jahr war ich am Wahlsonntag unerwartet im Unterland, und so habe ich die Wahl tatsächlich verpasst. Die Hochrechnungen zu den Wahlen habe ich jedoch mit Spannung verfolgt (denn ich bin ein News-Junkie) – was beweist, dass man auch als politisch interessierter Mensch nichtwählen kann. Und das Resultat hat mich, wie viele andere auch, überrascht. Ich weiss ja nicht, wie Sie es mit der grünen Welle halten. Surfen Sie darauf, oder lassen Sie sich von ihr durchwirbeln? Wer schon mal einen echten Wellenritt im Meer versucht hat, weiss, dass Surfen eine schwierige Sportart ist, die viel Gleichgewichtsgefühl, Durchhaltewille, Kraft und Kondition erfordert. Und wer Surfen will, muss kräftig einstecken können. Ein «Wipe Out» – wie man einen Sturz mit anschliessendem Waschgang im Surferjargon nennt – ist selten ein Vergnügen. Ja, ich bin (oder war) ein leidenschaftlicher Surfer. Und da man bekanntlich nur im Meer so richtig surfen kann, bin ich deswegen schon mehrmals um die halbe Welt geflogen. Und ich muss – schon wieder – zugeben, dass Surfen das wohl unsinnigste Freizeitvergnügen ist, wenn man es anhand Effizienzkriterien prüft. Während eines zweiwöchigen Urlaubs surfe ich – das heisst, auf dem Surfboard zu stehen –, vielleicht acht bis zehn Minuten. Demgegenüber stehen rund 40 Stunden, die ich bäuchlings oder sitzend auf dem Surfbrett verbringe, wie ein Verrückter paddle und mich von überschlagenden Wellen durchwaschen lasse. Das ist aber nicht der Grund, warum ich nicht mehr surfen gehe. Vielmehr kann ich – nennen wir es mal – wegen ethischer Gründe nicht mehr dahinterstehen; dies aber weniger aufgrund des CO2-Ausstosses, den meine Fliegerei verursacht, als vielmehr aufgrund des Ressourcenverschleisses vor Ort. Viele gute Surfreviere liegen in Schwellenländern oder Drittweltländern wie zum Beispiel Indonesien oder Malediven. Dort trinke ich frisches Wasser, während Einheimische Durst leiden. Ich trage dicke Schichten Sonnencreme auf, die das empfindliche Korallenriff beinträchtigen. Ich schlafe in Hotels und esse in Restaurants, die Müll produzieren, der im Wald landet. Wasserknappheit, Vergiftung der Böden, Vermüllung der Meere: das sind Umweltprobleme, die mich schon länger beschäftigen. Wer mit offenen Augen durch arme Länder reist, sieht wie dramatisch die Lage vielerorts ist. Was ich angesichts dieser sprichwörtlichen Berge an Umweltproblemen nicht verstehe, ist, warum der Klimawandel unsere mit Abstand grösste Herausforderung sein soll. Beim Klimawandel reden wir ja von Problemen, die wir wahrscheinlich in der Zukunft haben werden, in 20, 50 oder 100 Jahren. Doch wer weiss schon, wie die Zukunft aussehen wird? Was wir in dieser Zeit noch alles erfinden werden? Und was für Sorgen uns dann tatsächlich plagen? Ich frage mich – nicht nur bei der Klimadiskussion: Warum beschäftigen sich Politiker aller Couleur lieber mit Prognosen als mit der Realität? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Doch es ist bedeutend einfacher, Lösungen für ein Problem anzubieten, das in der Zukunft liegt, als für ein Problem, das gegenwärtig ist. Die Versuchung ist daher gross, künftige Probleme übermässig zu bewirtschaften, um dadurch von den aktuellen Lasten abzulenken. Die Aktualität bietet aber nicht nur Lasten, sondern auch viel Schönes. Zurzeit bin ich von der orangen Welle überwältigt, die unser Tal überzogen hat. Ist es nicht ein Wunder, wie sich die Natur vor dem Winterschlaf in seiner schönsten Pracht zeigt? Während ich die orangen Wälder betrachte, die sich in den Seen spiegeln, frage ich mich: Hätte ich vielleicht Orange wählen sollen? Nun habe ich erneut vier Jahre Zeit, um eine passende Parteifarbe zu finden. Und ich wage die Prognose, dass sich die grüne Welle bei der nächsten Wahl wie das Laub und die Lärchennadeln wieder in eine andere Farbe verwandelt.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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