Neulich war ich an einer Geburtstagsparty. Und ich trank den ganzen Abend nur Tee und Mineralwasser. «Bist du krank?», fragten mich die Leute. «Nein, ich habe bloss beschlossen, ein Jahr lang keinen Alkohol zu trinken», antwortete ich und erntete meist erstaunte und nicht selten unverständliche Blicke, vor allem, weil ich mir eine so lange Abstinenz vorgenommen hatte. Wenn man als Mann an einem festlichen Anlass weder Bier, Wein noch Schnaps trinkt, muss man sich erklären, so dass jedes Gespräch mit der Alkohol-Frage beginnt: Warum? Und warum so lange? Erst wenn diese Fragen erörtert und das allgemeine Alkoholverhalten geklärt sind, kann man sich den brennenden Themen zuwenden wie zum Beispiel der besten Besetzung des Verwaltungsrates unserer Tourismusorganisation. Weshalb ich auf diesen – man könnte es Neujahrvorsatz nennen – gekommen war, wusste ich anfangs auch nicht. Es war einfach so ein Gefühl, das aufkam, eine innere Stimme, die sagte: Verzichte doch mal über längere Zeit auf alkoholische Getränke. Dieses Gefühl trug ich schon länger, vielleicht zwei Jahre, mit mir herum. Nun habe ich mich entschieden, es ernst zu nehmen. Was der tiefere Grund meiner Abstinenz ist, merkte ich erst, als ich über meine verschiedenen Warum-kein-Alkohol-Gespräche nachdachte. Der Grund ist: Ich habe mich oftmals fremdbestimmt gefühlt. Nur ein Glas zum Anstossen! Eines geht noch! Sei doch kein Spielverderber! Die Anlässe für fremdbestimmten Alkoholgenuss sind zahlreich und kommen unverhofft. Und so habe ich gelegentlich das eine oder andere Glas (zu viel) getrunken, obwohl ich eigentlich gar keine Lust dazu verspürte. In der Regel hatte dies keine negativen Konsequenzen, im Gegenteil, ich hatte es durchaus lustig dabei. Aber manchmal hat es dazu geführt, dass ich trotzdem Auto fuhr oder schlecht schlief und am nächsten Tag mies drauf war. Fühlen Sie sich auch manchmal fremdbestimmt? Zum Beispiel vom Chef, den Kollegen und Kolleginnen, der Werbung, dem Smartphone oder von Fake-News? Fremdbestimmtheit ist allgegenwärtig, denn sie hat mit Machtausübung zu tun. Und Macht auszuüben, liegt in der Natur des Menschen. Bestimme ich oder werde ich bestimmt? lautet hier die Frage. Besonders heimtückisch ist die versteckte Fremdbestimmtheit. Diese gaukelt uns Freiheit vor, während sie uns in Wirklichkeit in Ketten legt. Darum kaufen wir Produkte, die wir nicht brauchen, wir schauen uns Medieninhalte an, die Bullshit sind, wir essen und trinken Lebensmittel, die uns nicht guttun. Meist ist dies alles nicht so dramatisch, denn es macht Spass, unterhält oder entspannt uns. Problematisch kann es im Job werden, wenn wir Arbeiten erledigen, die wir als nutzlos, sinnlos oder noch schlimmer als unmoralisch empfinden. Dann kann der Job bald in ein Burnout führen. Was Menschen ausbrennen lässt, ist nämlich nicht der Stress, sondern das Mass an Fremdbestimmtheit im Leben. Doch wie kann ich der Fremdbestimmtheit entgegenwirken? Persönlichkeitscoachs nennen einen einfachen Trick: Man kann sich bewusst machen, dass man immer eine Alternative zur Verfügung hat. Das heisst, ich kann Dinge (fremdbestimmt) tun oder auch einfach nicht tun. Oft führt das bloss zu einer Selbsttäuschung: Ich muss ja nicht rauchen, sondern ich kann. Ich muss ja nicht Überstunden leisten, sondern ich kann. Ich muss ja nicht dauernd Mails checken, sondern ich kann. Aber man fühlt sich besser, wenn man sich der Alternative bewusst wird. Wer wirklich etwas ändern will, der muss Alternativen ernsthaft und unter Berücksichtigung aller Konsequenzen prüfen. Ich kann mir zum Beispiel die Frage stellen, was für Chancen und Risiken sich mir bieten, wenn ich meinen Job kündige. Um eine solch einschneidende Frage beantworten zu können, muss ich jedoch wissen, was ich wirklich will, wonach ich mich in meinem tiefsten Inneren sehne. Ist es Liebe oder Anerkennung? Freiheit oder Auswahlmöglichkeit? Gott oder Geld? Darum mein Ratschlag: Hören Sie auf Ihre innere Stimme und Ihr Bauchgefühl. Und falls Sie tatsächlich etwas hören sollten, nehmen Sie es ernst. Das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist zu merken, dass es ausser Tee und Wasser kaum valable Alternativen zu alkoholischen Getränken gibt. Im besten Fall finden Sie Freiheit.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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