Foto: z. Vfg
Der junge Schweizer Autor Benjamin von Wyl (*1990) hat im Herbst seinen zweiten Roman bei dem in Zürich ansässigen Verlag lektorbooks veröffentlicht («Hyäne. Eine Erlösungsfantasie»), worin er so klug wie kurzweilig erzählt, irrsinnig tempo- und assoziationsreich, verspielt und grossartig absurd, aber stets stimmig, in einer Sprache, die sich mit viel Lust aus verschiedensten Registern bedient und diese mühelos zusammenbringt. Das liegt auch daran, dass die drei Hauptfiguren keine Pappkameraden sind, die - auf Kosten der Geschichte - Ideologie oder Kritik transportieren (was bei der thematischen Ambition des Werks durchaus passieren könnte), von Wyl vereint analytische Begabung und Fabulierertum und bietet lebendige Figuren an, Individuen, deren Innenleben die Leserin gerne kennenlernt und deren Krisen, Exzessen und Übertreibungen sie neugierig folgt - bis zu der aussergewöhnlichen Erlösung. Da wäre zum Einen die junge Frau mit ihren drei Mini-Jobs. Sie versteckt sich im Schlafsack, den Kopf auf einem Arvenkissen. Erduldet Bruder, Ekzem, Armut, Schikane. Biographisch bestens abgerichtet und dem System zur Verfügung gestellt als vorfabrizierte «Fugenfüllmasse» - und potentieller Ubermensch, ein typisches Wortspiel in diesem Text. Die Ältere: hellwach, hungrig, zornig-elektrisiert, mit revolutionärer Energie auf Vorrat, die - wenn sie nicht grade die Hecke einer Primarschule schreddert - auf Kassen im Warenhaus «ihre Hinterlassenschaft» deponiert, Antischuppenshampoo ins Hackfleisch massiert oder der Grund ist, dass nicht nur Buchhändlerinnen im Buchladen stehen, sondern Sanitäter. Und wen treffen die beiden auf einem – natürlich: Kinderspielplatz? Den global Player in permanenter Fress-Brech-Laune, der einzig im Flugzeug kurz durchatmet (beim Betrachten der eigenen Talks). Er verstümmelt sich auch gerne mal selber, wenn er das Gefühl vermisst, eine Rotte Wildschweine im Blutrausch anzuführen. Gras, Ritalin, LSD und kiloweise Shortbread sind seine Nahrung, das Verachten anderer Menschen sein Zwang. Im Rhythmus vorbeifahrender und ausbleibender Trams, im Rhythmus sehnsüchtiger Blicke, im Rhythmus von Galeerentrommeln, im Rhythmus des Kratzens auf der Haut, des Kotzens und Spülens, im Rhythmus geschredderter Buchsbäume und zerrissenen Papiers und im Schein eines aufgeklappten Laptops wird uns eine grosse, grausame und zärtliche Geschichte der heutigen Zeit erzählt, die von Menschen und Tieren handelt, vom System, das Speed geschluckt hat, und von dem, das jedes System mit anarchischer Kraft sprengt: der Liebe. Vor ihr verneigt sich der Text in einer der zärtlichsten und schönsten Liebesszenen der letzten Jahre. Benjamin von Wyl. Hyäne. Eine Erlösungsfantasie. Roman. lektorbooks 2020, ISBN 978-3-906913-23-0
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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