Selbst ist die Frau: Rita hat ihr Haus in Singapur ohne Interieurdesigner eingerichtet. Fotos: Rita Reber
Wir stehen gemütlich und mit gebührendem Abstand in der Küche von Rita und geniessen ein feines Aperoplättli und einen fruchtigen Weisswein. Wir loben das Essen und schwelgen in Erinnerungen an unsere Zeit in Singapur. Von dort kennen wir uns nämlich. Seit vielen Jahren und über tausende Kilometer Distanz hinweg sind wir in Kontakt geblieben, denn wir mögen nicht nur die Kochkünste von Rita sondern auch die witzigen, gemütlichen und spannenden Abende mit ihr und ihrem Mann. Rita ist ein Naturtalent. Die gelernte Dentalhygienikerin weiss fast immer Rat und hat tausend Ideen. Und so war es auch an einem denkwürdigen Abend in Singapur, an einem Apero in einem üppigen Garten einer noch üppigeren Villa, in dem unzählige Bedienstete in gestärkten, weissen Schürzen herumeilten und der Gesellschaft leckere Häppchen und edle Tropfen servierten. Wie so oft an solchen Anlässen trennten sich Männer in Männer- und Frauen in Frauengrüppchen. Die einen reden über das Geschäft und Golf, die anderen über ihre Kinder, angesagte Restaurants und Adressen von Coiffeuren. Solche Anlässe sind Teil der Arbeit, nicht nur für Banker und nicht nur in Singapur, sondern auch in London, Paris oder St. Moritz. Anders als die Ehemänner, klauben Frauen bei solchen Anlässen oft keine Visitenkarte aus ihren Handtaschen, vor allem dann nicht, wenn sie nicht im klassischen Sinne berufstätig sind, so wie Rita. Damit man aber dennoch weiss, mit wem man es zu tun hat, werden Neuankömmlinge gebührend ausgefragt. Aus welchem Land man komme und wo man wohne, sind die ersten Fragen. Die Antworten lassen in Singapur recht schnell abschätzen, wie einflussreich jemand ist. Und irgendeinmal kommt dann auch die Fragen: Where did you study? Wo hast du studiert? Zu Beginn ihres Aufenthalts im Tropenstaat sagte Rita ehrlich, sie habe nie studiert. Die Reaktion der Frauen war für die frühere Dentalhygienikerin eine Lehre: Ungläubiges Schweigen und pures Entsetzen. Ein paar glaubten, falsch verstanden zu haben und fragten nach. Um allen Beteiligten die Peinlichkeit eines nicht existierenden Uni-Abschlusses zu ersparen, erfand Rita kurzerhand die imaginäre Bündner Hochschule «The University of Maluns and Capuns in Eastern Switzerland». Rita erdachte sich in Singapur weitere kreative Antworten: So beispielsweise als sie bei einer Einladung gefragt wurde, welcher Interieur-Designer ihr Haus eingerichtet und welcher Koch ihre Apero-Häppchen kreiert habe. Dass frau das selber könnte, kann man sich in diesen Kreisen nicht denken. Übrigens: Ich habe mir auch schon einen Spass daraus gemacht, auf die Frage nach meinem Beruf «Coiffeuse» zu nennen. Haarschneiderin ist nämlich wirklich mein Traumberuf, auch wenn ich heute in der Schule und beim Fernsehen arbeite. Doch der Spass ist eigentlich keiner mehr, vor allem dann nicht, wenn ich jeweils die Reaktionen der Schweizerinnen und Schweizer sehe.
Ruth Bossart
Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.
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