Ross und Wagen warteten bei der Mauer vor dem Haus. Der sanfte E. stand beim aufgeschirrten Tier, das in seiner Nähe ruhig und sicher war. Ich dachte, es sollten auch Hunde zum Trauerzug zugelassen sein und Katzen, Seelen im Pelz, die den Menschen seit jeher begleiten. In guten und in schlechten Zeiten. Warum heute nicht? An diesem strahlend schönen Dezembertag, der seinen blauen Deckel über ein Leben legte, es mit Schneemauern umrahmte, von zwei Polizisten sekundiert, die den Verkehr regelten.
Nun bog der stattliche Pfarrer in die Gasse. Sein Talar liess mich an Luther denken, nicht an Zwingli. Wir standen auf der Treppe, vor der Tür. Der Pfarrer kam gemessenen Schrittes näher, in sich gekehrt und ernst. Der Sohn der Toten ging zu ihm, sie redeten leise. Dann richtete der Pfarrer seinen Blick auf den ruhigen Fluss, auf Ross und Wagen - und ging weiter. Der Wagen war von schwarzem Seidentaft verhangen, ein sicherer Ort. Gleich würden dort Urne, Kränze und Gesteck platziert.
Warum kann uns der Fluss nicht begleiten, dachte ich, er, der vor uns da war und nach uns da sein wird? Warum hält er sich an sein Bett, er könnte doch, zusammen mit den Rosen, die im Sommer an der Mauer blühen, eine Ausnahme machen und bei der Brücke für einmal rechts abbiegen?
Fünfzig Menschen waren zur Beerdigung zugelassen. Einige hatten sich bereits versammelt. Sie trugen Gesichtsmasken. Ich konnte nicht erkennen, wer es war, aber ich ahnte es. Ich trat mit meiner Familie in die Gasse. Sechs Menschen in Schwarz. Ich stand hinter Ross und Wagen, hinter dem Pfarrer, sah seine winterfesten Schuhe, Schuhgrösse 46? Ich sah die rot-goldene Schleife unseres Kranzes und hängte bei meinem Mann ein. Wir schauten nach vorne. Ich weiss es, weil ich manchmal zu ihm blickte. Er weiss es, weil er manchmal zu mir blickte.
Geht es?
Ja.
Geht es?
Ja.
Dann schauten wir diskret nach hinten. Alle aufrecht, alle tapfer. Wir schaffen das, gemeinsam. So überquerten wir die kleine Brücke. Der Fluss ging geradeaus, talabwärts, ins Meer. Die Rosen und Nelken blühten vor uns ohne Duft.
Nun kamen bunte Langläufer in Sicht und laute Schlittenkinder, vor denen ich mich fürchtete. Ich fürchtete mich vor dem Kontrast, vor Unanstand, seltsamen Bemerkungen, Rufen. Es kamen Spaziergängerinnen, Flaneure. Mir kam das Wort «Lustwandeln» in den Sinn. Wir waren Trauerwandler, die heute nicht entschieden, welchen Weg sie nehmen sollten. Sie hatten keine Wahl, dieser Gang war ihr Schicksal. Er führte zu Hügel, Kirche und Friedhof, wo auch ich einmal liegen würde.
Dieser Gang, Grablegung, Predigt. Kein Zusammensein, keine «palorma», kein Ausklingen, keine Geschichten über die Tote, Anekdoten, keinen Trost in Gesellschaft. Wie würde das sein? Aber waren das angemessene Gedanken? Sollte ich mein Hadern nicht besser unterbrechen mit einem Gebet?
Links des Zuges, der durch das pralle Leben zog und es kurz verstummen liess, stand eine Greisin aus dem Dorf. Als sie uns erblickte, kehrte sie sich um, zeigte uns den Rücken, wohl aus Pietät, vielleicht aus Angst. Auf der rechten Seite kam uns A. entgegen, mit ihrem Jagdhund. Sie blieb stehen und schaute uns liebevoll an. Sie nickte. Ihr Mitgefühl ergriff mich. Wir sind neu verbunden. Nie vergisst der Mensch, was ihm in der Trauer widerfuhr.
Zwei ehrgeizige Langläuferinnen wollten keine Zeit verlieren, sie hatten ihr Trainingsziel vor Augen. Das musste erfüllt werden. Sie eilten wenig stilsicher vor dem Ross auf die andere Strassenseite, und dann, der Loipe entlang, in ihren Nachmittag.
Nun bog der stattliche Pfarrer in die Gasse. Sein Talar liess mich an Luther denken, nicht an Zwingli. Wir standen auf der Treppe, vor der Tür. Der Pfarrer kam gemessenen Schrittes näher, in sich gekehrt und ernst. Der Sohn der Toten ging zu ihm, sie redeten leise. Dann richtete der Pfarrer seinen Blick auf den ruhigen Fluss, auf Ross und Wagen - und ging weiter. Der Wagen war von schwarzem Seidentaft verhangen, ein sicherer Ort. Gleich würden dort Urne, Kränze und Gesteck platziert.
Warum kann uns der Fluss nicht begleiten, dachte ich, er, der vor uns da war und nach uns da sein wird? Warum hält er sich an sein Bett, er könnte doch, zusammen mit den Rosen, die im Sommer an der Mauer blühen, eine Ausnahme machen und bei der Brücke für einmal rechts abbiegen?
Fünfzig Menschen waren zur Beerdigung zugelassen. Einige hatten sich bereits versammelt. Sie trugen Gesichtsmasken. Ich konnte nicht erkennen, wer es war, aber ich ahnte es. Ich trat mit meiner Familie in die Gasse. Sechs Menschen in Schwarz. Ich stand hinter Ross und Wagen, hinter dem Pfarrer, sah seine winterfesten Schuhe, Schuhgrösse 46? Ich sah die rot-goldene Schleife unseres Kranzes und hängte bei meinem Mann ein. Wir schauten nach vorne. Ich weiss es, weil ich manchmal zu ihm blickte. Er weiss es, weil er manchmal zu mir blickte.
Geht es?
Ja.
Geht es?
Ja.
Dann schauten wir diskret nach hinten. Alle aufrecht, alle tapfer. Wir schaffen das, gemeinsam. So überquerten wir die kleine Brücke. Der Fluss ging geradeaus, talabwärts, ins Meer. Die Rosen und Nelken blühten vor uns ohne Duft.
Nun kamen bunte Langläufer in Sicht und laute Schlittenkinder, vor denen ich mich fürchtete. Ich fürchtete mich vor dem Kontrast, vor Unanstand, seltsamen Bemerkungen, Rufen. Es kamen Spaziergängerinnen, Flaneure. Mir kam das Wort «Lustwandeln» in den Sinn. Wir waren Trauerwandler, die heute nicht entschieden, welchen Weg sie nehmen sollten. Sie hatten keine Wahl, dieser Gang war ihr Schicksal. Er führte zu Hügel, Kirche und Friedhof, wo auch ich einmal liegen würde.
Dieser Gang, Grablegung, Predigt. Kein Zusammensein, keine «palorma», kein Ausklingen, keine Geschichten über die Tote, Anekdoten, keinen Trost in Gesellschaft. Wie würde das sein? Aber waren das angemessene Gedanken? Sollte ich mein Hadern nicht besser unterbrechen mit einem Gebet?
Links des Zuges, der durch das pralle Leben zog und es kurz verstummen liess, stand eine Greisin aus dem Dorf. Als sie uns erblickte, kehrte sie sich um, zeigte uns den Rücken, wohl aus Pietät, vielleicht aus Angst. Auf der rechten Seite kam uns A. entgegen, mit ihrem Jagdhund. Sie blieb stehen und schaute uns liebevoll an. Sie nickte. Ihr Mitgefühl ergriff mich. Wir sind neu verbunden. Nie vergisst der Mensch, was ihm in der Trauer widerfuhr.
Zwei ehrgeizige Langläuferinnen wollten keine Zeit verlieren, sie hatten ihr Trainingsziel vor Augen. Das musste erfüllt werden. Sie eilten wenig stilsicher vor dem Ross auf die andere Strassenseite, und dann, der Loipe entlang, in ihren Nachmittag.
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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