Foto: Marie-Claire Jur
«Bist Du auch im Home Office?», werde ich oft gefragt. Natürlich bin ich das, wie viele Journalistinnen und Journalisten auch. Das drängt sich für unser Berufsfeld ja auf. Wir sind ja Schreibtischtäter. Mailen, telefonieren, schreiben. Telefonieren, schreiben, mailen. Schreiben, telefonieren, mailen. Das ist mein daily Business. Zwischendurch ist das Ausbrechen aus der Schreibstube zwar möglich. Für das Fotografieren eines Sonnenuntergangs, für das Ablichten eines Baumes oder eines Bauwerks. Hin und wieder müssen im Rahmen von Recherchen auch Akten und Studien gelesen werden. Aber mein Berufsalltag hat in Corona-Zeiten an Vielfalt eingebüsst, ist etwas monotoner geworden. Wie meine Redaktionskolleginnen und -kollegen aussehen, bekomme ich nur aus der Ferne an den wöchentlichen Zoom-Meetings mit – wenn denn ihre Videokameras eingeschaltet sind. Wer überhaupt noch oder neu im Betrieb arbeitet, erfahre ich höchstens übers Mail oder aus dem monatlichen internen Newsletter. Immerhin muss ich in meiner Schreibstube keine Schutzmaske tragen und auch keine Fussfessel, doch fühle ich mich trotzdem eingeengt. Denn auch mir fehlt der zwischenmenschliche Kontakt, das Bad in der Menschenmenge, die Freiheit, spontan irgendwohin zu gehen, um etwas zu erleben oder zu lernen und darüber zu berichten. Beispielsweise im Rahmen einer Reportage, der journalistischen Königsdisziplin schlechthin, die von Sinneseindrücken und Emotionen lebt, an denen wir die Leser unserer Texte teilhaben lassen. Wie gerne würde ich nochmals ins Bergell zum Imker fahren, der mich in die Geheimnisse der Bienenaufzucht und Honiggewinnung einführte. Ich würde für eine solche Gelegenheit gerne ein paar Bienenstiche in Kauf nehmen! Was gäbe ich, um eines der Pferderennen auf dem zugefrorenen St. Moritzersee zu verfolgen und einem der freiwilligen White Turf-Helfer über die Schulter zu schauen! Da würde ich mir auch inmitten des Schneesturms die Beine in den Bauch stehen wollen. Ein Konzert oder ein Musikfestival? Klassisch, jazzig, bluesig, chorig oder sonstwie? Für den Zutritt zu einem Live-Gig würde ich schwören, jede falsche Note zu überhören und jedes rhythmische Trödeln zu verzeihen! Der Blick aus meiner Schreibstube in Richtung Himmel wird durch das Summen meines Handys unterbrochen. Telefonieren, schreiben, mailen. Schreiben, telefonieren, mailen. Home Office hat mich wieder.
Text: Marie-Claire Jur
Text: Marie-Claire Jur
Redaktion Engadiner Post
Wie geht es auf einer Redaktion zu und her? Inbesondere an einem Produktionstag? Was macht ein Redaktor/eine Redaktorin den lieben langen Tag? Und was braucht es, von der Idee bis zum vollständigen Bericht in der Zeitung? Über diese und weitere Themen lesen Sie regelmässig im Redaktionsblog der «Engadiner Post/Posta Ladina».
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