Foto: Samuel Bossart
Ob ich neue Brillengläser brauche oder sonst etwas mit meinem Gedächtnis nicht stimmt? Ich hätte vor Scham im Boden versinken können. Die Frau grüsste mich freundlich und mit Namen. Und ich? Ich hatte keine Ahnung, wer da vor mir steht. In den letzten Monaten ist mir das immer wieder passiert.
Als ich noch für SRF als Korrespondentin arbeitete und ab und zu am Bildschirm war, kam es vor, dass sich Wildfremde zu mir gesellten und mir im Flugzeug oder am Hotel-Buffet etwas erzählten. Als Gesicht aus dem Fernsehen war ich ihnen vertraut, ich umgekehrt kannte diese Menschen natürlich nicht. Da ich aber seit einiger Zeit nur Teilzeit und hinter den Kulissen bei SRF arbeite, ist solches sehr selten geworden.
Doch seit ein paar Monaten verfolgt mich ein ähnliches Phänomen: Leute sprechen mich an, manchmal mit Namen, und ich kann sie nicht einordnen. Ich kann ziemlich genau sagen, wann dies angefangen hat: Mit der Maskentragepflicht in Schulen, Zügen und Geschäften. Je höher die Infektionszahlen kletterten, desto mehr Menschen ziehen ihren Schutz oft gar nicht mehr aus, wenn sie aus dem Supermarkt oder dem Postauto und Tram steigen. Und so begegnen mir die meisten Leute heute maskiert. Es gibt sogar solche, die ich gar noch nie ohne Maske gesehen habe – meine neue Coiffeuse zum Beispiel oder Studierende, Schülerinnen oder Lehrpersonen, so wie Melanie.
«Hoi Ruth», sagte eine Frau vor dem Bahnhof mit Langlaufskiern in der Hand und Maske über Mund und Nase. Ich muss sie mit grossen Augen angeschaut haben, denn sie sagte: «Ich bin Melanie, erkennst du mich nicht?» und nimmt die Maske vom Gesicht. Doch der Zwanziger ist auch in dem Moment nicht gefallen. Erst als Melanie erwähnte, woher wir uns kennen, machte es klick. Vor dem Bahnhof habe ich sie das erste Mal ohne Maske gesehen.
Im Grossraumbüro von SRF, in dem zu Homeoffice-Zeiten mindestens 50 Personen arbeiten, ist es mir auch schon passiert, dass ich Leute nicht erkenne. Anders als bei den Menschen, die ich erst in diesem Pandemiejahr kennengelernt habe, sind mir meine Arbeitskolleginnen aus der vor-Masken-Zeit bekannt. Sobald mir Peter, Kathrin oder Pascal kurz ihr Gesicht zeigen, funktioniert das Zuordnen tadellos.
Irgendwie braucht mein Gehirn mehr als nur die obere Hälfte des Gesichts, damit die Identifikation in Sekundenbruchteilen möglich wird. Dass ich meine Gegenüber weniger lesen kann, da ich nur die halbe Mimik sehe, war mir schon länger bewusst. Dass die uniforme blaue Maske aber das Memorieren und schliesslich das Erkennen erschwert, habe ich erst kürzlich so richtig realisiert. So gelang es mir zum Beispiel kaum, sich die Namen von Schülerinnen und Schülern zu merken, obwohl ich sie über drei Wochen unterrichtet habe. Das ist ungewöhnlich, denn die Vornamen kann ich unter normalen Umständen innerhalb einer Woche.
Ich freue mich darum schon heute auf die Zeiten, wo ich das Lächeln, Nasenrümpfen und Zungenrausstrecken wieder sehen kann. Kurzfristig kann man vielleicht auch etwas Positives aus dieser Erfahrung nehmen: Wenn wir im März über das Verhüllungsverbot abstimmen, wissen wir alle aus erster Hand, um was es geht.
Als ich noch für SRF als Korrespondentin arbeitete und ab und zu am Bildschirm war, kam es vor, dass sich Wildfremde zu mir gesellten und mir im Flugzeug oder am Hotel-Buffet etwas erzählten. Als Gesicht aus dem Fernsehen war ich ihnen vertraut, ich umgekehrt kannte diese Menschen natürlich nicht. Da ich aber seit einiger Zeit nur Teilzeit und hinter den Kulissen bei SRF arbeite, ist solches sehr selten geworden.
Doch seit ein paar Monaten verfolgt mich ein ähnliches Phänomen: Leute sprechen mich an, manchmal mit Namen, und ich kann sie nicht einordnen. Ich kann ziemlich genau sagen, wann dies angefangen hat: Mit der Maskentragepflicht in Schulen, Zügen und Geschäften. Je höher die Infektionszahlen kletterten, desto mehr Menschen ziehen ihren Schutz oft gar nicht mehr aus, wenn sie aus dem Supermarkt oder dem Postauto und Tram steigen. Und so begegnen mir die meisten Leute heute maskiert. Es gibt sogar solche, die ich gar noch nie ohne Maske gesehen habe – meine neue Coiffeuse zum Beispiel oder Studierende, Schülerinnen oder Lehrpersonen, so wie Melanie.
«Hoi Ruth», sagte eine Frau vor dem Bahnhof mit Langlaufskiern in der Hand und Maske über Mund und Nase. Ich muss sie mit grossen Augen angeschaut haben, denn sie sagte: «Ich bin Melanie, erkennst du mich nicht?» und nimmt die Maske vom Gesicht. Doch der Zwanziger ist auch in dem Moment nicht gefallen. Erst als Melanie erwähnte, woher wir uns kennen, machte es klick. Vor dem Bahnhof habe ich sie das erste Mal ohne Maske gesehen.
Im Grossraumbüro von SRF, in dem zu Homeoffice-Zeiten mindestens 50 Personen arbeiten, ist es mir auch schon passiert, dass ich Leute nicht erkenne. Anders als bei den Menschen, die ich erst in diesem Pandemiejahr kennengelernt habe, sind mir meine Arbeitskolleginnen aus der vor-Masken-Zeit bekannt. Sobald mir Peter, Kathrin oder Pascal kurz ihr Gesicht zeigen, funktioniert das Zuordnen tadellos.
Irgendwie braucht mein Gehirn mehr als nur die obere Hälfte des Gesichts, damit die Identifikation in Sekundenbruchteilen möglich wird. Dass ich meine Gegenüber weniger lesen kann, da ich nur die halbe Mimik sehe, war mir schon länger bewusst. Dass die uniforme blaue Maske aber das Memorieren und schliesslich das Erkennen erschwert, habe ich erst kürzlich so richtig realisiert. So gelang es mir zum Beispiel kaum, sich die Namen von Schülerinnen und Schülern zu merken, obwohl ich sie über drei Wochen unterrichtet habe. Das ist ungewöhnlich, denn die Vornamen kann ich unter normalen Umständen innerhalb einer Woche.
Ich freue mich darum schon heute auf die Zeiten, wo ich das Lächeln, Nasenrümpfen und Zungenrausstrecken wieder sehen kann. Kurzfristig kann man vielleicht auch etwas Positives aus dieser Erfahrung nehmen: Wenn wir im März über das Verhüllungsverbot abstimmen, wissen wir alle aus erster Hand, um was es geht.
Ruth Bossart
Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.
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