Der Berner Märit ist ein Unikum: Seit Jahren Woche für Woche vor dem Parlament aufgebaut. Foto: Ruth Bossart
Der Berner Markt ist eine Institution. Nicht nur, weil er wohl der einzige Markt der Welt ist, der direkt vor den Türen des nationalen Parlaments steht: Immer Dienstags und Samstags werden keine 20 Meter vom Haupteingang des Bundeshauses ab 4 Uhr in der Früh zig Stände aufgebaut, Blumen ausgeladen, Äpfel und Salate in Harassen herangeschleppt, Fische, Käse, brasilianische Backwaren, italienische Käselaibe und Olivenöle. Im Moment sind die Spargeln eine Attraktion oder Bärlauchsträusschen, Krautstiel in allen Farben, mächtige Butterzüpfen, die stämmige Bäuerinnen in weisses Papier einwickeln. Ich fahre am liebsten frühmorgens mit dem Velo auf den Märit. Dann sind die Warteschlangen noch klein und die Auswahl umso grösser. Seit ich wieder in der Schweiz wohne, ist dies für mich ein liebgewonnenes Ritual geworden. Auch in der Türkei oder in Indien liebte ich es, unter freiem Himmel einzukaufen. In Istanbul war es gang und gäbe, dass man alles mögliche probieren durfte; Honig, Käse, Orangenschnitze, Melonenstücke, Erdbeeren. Meist kam ich heim und konnte gleich das Mittagessen weglassen. In Bombay, unserer letzten Heimat, gab es praktisch in jedem Quartier einen oder gar mehrere Märkte. Ja sogar im Innenhof meines «Tante-Emma-Ladens» ein paar Strassen von unserer Wohnung entfernt, boten Händler Gemüse und Früchte feil, auf Karren, Ständen oder einfach auf einem Tuch am Boden. Mein liebster Markt war aber in der Nähe des grössten Bahnhofs von Bombay. Nirgendwo riecht man intensiver Gewürze, nirgendwo stinkt es grässlicher als in der Fleischabteilung, wo immer wieder ein Rattenschwanz unter einem Marktstand verschwindet, nirgendwo leuchten mehr Farben als in der Blumenabteilung. Dort reihen hunderte von Männern, Frauen und Kinder Tagetes und Jasminblüten auf Schnüre auf. Die weisse Duftpracht geht für ein Parfum und viele Frauen binden sich diese Ketten ins Haar, die Tagetes werden in den Tempeln den Gottheiten umgehängt. Auf diesem Markt konnte man auch seine Messer schleifen lassen und sogar alte Silbergegenstände bringen, die die Männer vor den Augen der Kunden in Silberbarren umschmolzen.
In Bern ist natürlich alles viel ruhiger, die Preise sind fix, Marktschreien ist verboten, aber der Märit ist deswegen nicht weniger spektakulär: «Meine» Metzgerbrüder aus dem Emmental, die immer wieder neue Kreationen von Bratwürsten ersinnen und sich freuen, wenn ich mich als Versuchskaninchen hergebe oder «meine» Käserin aus dem Fribourgerland, die einen neuen Laib kreiert hat, der «Ladypower» heisst und mit scharfem Chili selbst gestandene Männer zum Husten bringt. Auch beim Stand aus Domodossola mache ich regelmässig Halt und beim Biobauern aus der Gegend von Murten kaufe ich nicht nur Gemüse und Salate, sondern auch die aromatische Konfitüre seiner Schwiegertochter. Der Sohn des Biobauern ist zudem ein guter Koch und hat immer wieder Rezeptideen, die er mit mir und anderen Kunden zwischen Salatabwägen und Preise-zusammenzählen verrät. Zum Beispiel Hexenpasta. Violetter Federkohl ist der Star dieses Gerichts.Inzwischen – ich bin seit einem Jahr in der Schweiz resp. in Bern daheim – kennen mich die meisten Marktleute, einige sogar beim Namen. Man nimmt Notiz, wenn man ein oder zwei Wochen nicht am Stand erscheint, fragt nach, ob alle daheim gesund und zwäg seien, erinnert sich, dass man das letzte Mal einen Käse hat liegenlassen und zieht dafür diesmal 10 Franken ab. Ja – und an meinem Gemüsestand haben wir seit ein paar Monaten ein neues Ritual kreiert: Immer wieder streiten wir, ob wir heute auf- oder abrunden beim Gesamtpreis und beziehen uns auf letzte Mal, wo doch ... wie war das schon wieder?
Unter dem Strich geht es da gar nicht um den effektiven Preis. Es ist das Gespräch, das Lachen, das Fachsimpeln und der Umstand, dass man jemanden aus Fleisch und Blut vor sich hat statt nur auf dem Zoom-Schirm, das so wertvoll ist.
Unter dem Strich geht es da gar nicht um den effektiven Preis. Es ist das Gespräch, das Lachen, das Fachsimpeln und der Umstand, dass man jemanden aus Fleisch und Blut vor sich hat statt nur auf dem Zoom-Schirm, das so wertvoll ist.
Ruth Bossart
Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.
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