Es lebe der Sport. Denn er liefert garantiert keine Fake News. Foto: Tembela Bohle/Pexels
Neulich schaute ich zwei komplette Fussballspiele inklusive Verlängerung und Penaltyschiessen. Was für ein Drama beim historischen Einzug ins Viertelfinale. Dann die nervenzerreibende Abwehrschlacht und letztlich doch das Aus. Ach, es wäre so schön gewesen gegen Italien im Halbfinale zu stehen. Was soll‘s, das Leben geht auch ohne Fussball mit Schweizer Beteiligung weiter. Und ich brauch nun nicht mehr ganze Spiele zu schauen, sondern kann mich wieder mit den üblichen Matchberichten und Resultatübersichten begnügen. Allenfalls zappe ich ein wenig in den Final hinein, mein Tipp: England gewinnt gegen Italien mit 2:1. Ich muss zugeben, dass ich ein Sportnews-Junkie bin. Als solcher interessiere ich mich aber weniger fürs Sportgeschehen an sich, sondern vor allem für Resultate und Statistiken, für Tabellenübersichten und Turnierbäume, für Rekorde und Bestenlisten. Wenn die Nati tschuttet, Federer Tennis spielt oder Feuz über die Piste rast, fiebere ich gerne mit. Wenn nicht, langweilt mich Sport relativ bald. Trotzdem will ich wissen, ob es England endlich wieder in ein Finale eines Endrundenturniers schafft oder ob Djokovic den Grand-Slam-Rekord von Federer knackt. Dabei zuschauen, muss ich nicht, aber wie es dazu gekommen ist, möchte ich wissen. Gab es Spektakel, Drama oder gar einen Skandal? Und vor allem: Wie lautet das Resultat? Sport sorgt einerseits für Emotionen und besteht andererseits aus Zahlen, vielen Zahlen. Alles wird gemessen und gezählt, Torchancen, Ballbesitz, die gelaufenen Kilometer pro Spieler. Oder im Tennis die Anzahl der Gewinnschläge, verpasste Breakchancen, erspielte Punkte am Netz. Erst solche Statistiken liefern das notwendige Datenmaterial, um inbrünstig über Sport diskutieren, analysieren, debattieren, spekulieren und sich enervieren zu können. Über Sport zu reden, ist nämlich oft schöner als sich Sport anzuschauen. Auch mich macht es froh, wenn ich mir morgens bei einer Tasse Kaffee Sportresultate zu Gemüte führen kann. Irgendwie ist es befriedigend, obwohl das Wissen, das ich mir aneigne, völlig unnütz und meist belanglos ist. Ein eigenartiges Verhalten, nicht wahr? Ich kann es mir nur so erklären: Der Sport liefert mir regelmässig zuverlässige Fakten. Fakten, die wahr sind und auch wahr bleiben (ausser bei überführten Dopingfällen). Sportresultate sind mit an 100 Prozent grenzender Wahrscheinlichkeit keine Fake News, was man von der restlichen Newsflut nicht unbedingt behaupten kann. Ein 1:1 ist ein 1:1 und bleibt ein 1:1, auch wenn die rote Karte gegen Freuler ein fragwürdiger Entscheid des Schiedsrichters war. Damit aus vermeintlichen Ungerechtigkeiten unverrückbare Fakten werden, gibt es im Sport den nüchternen Begriff des Tatsachenentscheids. Punkt. Fertig. Fakt. Sport versorgt uns also mit Tatsachen oder anders ausgedrückt mit Wahrheiten. Deshalb macht es mich froh zu wissen, ob Federer in drei oder vier Sätzen gewonnen hat. Es ist eine Neuigkeit, die wirklich stimmt. Sie ist zwar belanglos, aber wahr. Und die Wahrheit zu erfahren, ist heutzutage alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Abgesehen von Sportresultaten bilden Zahlen und Statistiken selten unverrückbare Tatsachen oder gar die Wahrheit ab. Ein gutes Beispiel dafür ist das Coronavirus. Das Thema ist ungemein bedeutsam, man kann unzählige Zahlenreihen und Kurvendiagramme studieren, aber die Wahrheit erfährt man dabei nicht. Dies zu akzeptieren, fällt den Menschen schwer. Als Folge konstruieren sie Ersatzwahrheiten. Sie glauben an das, was der Zeitgeist oder Informationsblasen ihnen vorgeben. Echte Wahrheitssuche, sei es bei Gott oder mit Wissenschaft, bleibt auf der Strecke. Im Eskalierungsfall führt das vom friedlichen Protest über die unbewilligte Demonstrationen bis hin zum Sturm aufs Kapitol. Denn selbst Wahlen – in demokratischen Ländern im Allgemeinen zuverlässige Faktenlieferanten – sind im Begriff, ihren Wahrheitsanspruch zu verlieren. Wegen dem Sport gehen die Leute ebenfalls auf die Strasse, zum Feiern und mit der festen Gewissheit, dass der Sieg ihrer Mannschaft eine unverrückbare Tatsache ist. In diesem Sinne freue ich mich auf den hupenden Autokorso, falls doch Italien Europameister wird.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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