Ich sass heute Abend alleine am Hotel-Tisch, weil ich alleine da war. Hinter mir ass ein Paar, das französisch sprach. Zwei Tische weiter rechts amüsierten sich drei Amerikaner, zwei Männer, eine Frau. Die Frau lachte befreit. Die sprechen ja dauernd miteinander, dachte ich, das sieht man nicht oft.
Da kroch ein Tier aus meinem Brotkorb, den Erika hingestellt hatte. Ich mag Erika. Sie kannte mich noch, mit Namen, obwohl ich lange nicht mehr nach Genua gekommen war. Erika hatte sehr viel Brot in den Brotkorb gesteckt, weil sie mich noch kannte. Sogar Focaccia vom Morgen. Und zwischen diesem vielen Brot hatte dieses Tier gesessen, es war ein Insekt, schwarz, aus mehreren Teilen zusammengesetzt, daran Insektenbeine, krumm, wie mir schien, ich konnte das Tier nicht im Detail beschreiben, es rannte im Kreis, dann Richtung Olivenöl extra vergine.
Hau ab!, sagte ich. Erika schlägt dich tot, und dann kann ich nicht mehr essen. Da bog Erika bereits um die Ecke, ich lächelte wie ich es hinter der Kasse gelernt hatte. Sie lächelte zurück, wie sie es gewohnt war. Ich lächelte ihren Blick auf meine Zähne, die ich nicht gerne zeige, weil ich so spitze Eckzähne habe, mein Gegenüber könnte denken, ich sei ein vekleidetes Tier, das zwischen dem Brot hervorgekrochen ist. Wo war mein neuer Freund, das andere Tier, eigentlich?
Es hing seitlich am Tischtuch, aber gar nicht diskret. Wenn die Amerikaner gute Augen hatten, dann konnten sie das Tier sehen. Wenn die schreien, ist es um dich geschehen – und um meinen Appetit. Achtung, du Tier, sagte ich, die Amerikaner könnten dich sehen, und die Erika kommt bald, und die kennt kein Pardon, hier sind wir im Ausland, da gibt es noch Vorstellungen von «zu Tisch», hey! Das Tier hörte weg. Es hatte offensichtlich keine Kinderstube genossen. Wenn Erwachsene reden, soll das gefälligst quittiert werden.
Das Tier aber hatte den Kopf abgedreht und hielt wohl mit seinen Füsschen, die an den krummen Beinen waren, seine Ohren zu, falls es Ohren hatte. So sind sie, die Geretteten: undankbar bis unter den Panzer. Dich fotografiere ich jetzt, dachte ich. Und dann schaue ich nach, wer du bist. Auf Google. Da gebe ich «Tier» ein. Irgendein Bild wird schon passen. Meinen Masterplan entwerfend hatte ich glatt vergessen, Erikas Blick abzulächeln, sie kam auf uns zu und schaute - auf das Tier! Glaubs. Ich entfaltete majestätisch meine Serviette und legte sie über das Tier, also mit Abstand, ich weiss ja nicht, was so ein Tier aushält.
Als Erika wegschaute, weil das Paar, das französisch sprach, rief, blies ich dem Tier ins Gebälk, aber die Saubohne bewegte sich nicht, wie ich es mir gewünscht hätte: auf den Boden, in die Ritze, weg, gerettet! Nichts davon, sie pfiff darauf. Ich war ja da. Sie sah mich als Beschützerin. Null Selbstverantwortung. Das Brot backen ja die Anderen. Jetzt hatte ich den Dreck.
Da kam Erika mit meiner Parmigiana aus der Küche gesteuert, ich fasste das Besteck und ass. Als ich den letzten Bissen geschluckt hatte, fiel mir das Tier ein. Aber es war weg. Ich zog ein Stück Brot aus dem Korb, um zu schauen, ob es wieder nach Hause gegangen war. Da war kein Tier. Ich bestellte einen Kaffee und war total beleidigt.
Da kroch ein Tier aus meinem Brotkorb, den Erika hingestellt hatte. Ich mag Erika. Sie kannte mich noch, mit Namen, obwohl ich lange nicht mehr nach Genua gekommen war. Erika hatte sehr viel Brot in den Brotkorb gesteckt, weil sie mich noch kannte. Sogar Focaccia vom Morgen. Und zwischen diesem vielen Brot hatte dieses Tier gesessen, es war ein Insekt, schwarz, aus mehreren Teilen zusammengesetzt, daran Insektenbeine, krumm, wie mir schien, ich konnte das Tier nicht im Detail beschreiben, es rannte im Kreis, dann Richtung Olivenöl extra vergine.
Hau ab!, sagte ich. Erika schlägt dich tot, und dann kann ich nicht mehr essen. Da bog Erika bereits um die Ecke, ich lächelte wie ich es hinter der Kasse gelernt hatte. Sie lächelte zurück, wie sie es gewohnt war. Ich lächelte ihren Blick auf meine Zähne, die ich nicht gerne zeige, weil ich so spitze Eckzähne habe, mein Gegenüber könnte denken, ich sei ein vekleidetes Tier, das zwischen dem Brot hervorgekrochen ist. Wo war mein neuer Freund, das andere Tier, eigentlich?
Es hing seitlich am Tischtuch, aber gar nicht diskret. Wenn die Amerikaner gute Augen hatten, dann konnten sie das Tier sehen. Wenn die schreien, ist es um dich geschehen – und um meinen Appetit. Achtung, du Tier, sagte ich, die Amerikaner könnten dich sehen, und die Erika kommt bald, und die kennt kein Pardon, hier sind wir im Ausland, da gibt es noch Vorstellungen von «zu Tisch», hey! Das Tier hörte weg. Es hatte offensichtlich keine Kinderstube genossen. Wenn Erwachsene reden, soll das gefälligst quittiert werden.
Das Tier aber hatte den Kopf abgedreht und hielt wohl mit seinen Füsschen, die an den krummen Beinen waren, seine Ohren zu, falls es Ohren hatte. So sind sie, die Geretteten: undankbar bis unter den Panzer. Dich fotografiere ich jetzt, dachte ich. Und dann schaue ich nach, wer du bist. Auf Google. Da gebe ich «Tier» ein. Irgendein Bild wird schon passen. Meinen Masterplan entwerfend hatte ich glatt vergessen, Erikas Blick abzulächeln, sie kam auf uns zu und schaute - auf das Tier! Glaubs. Ich entfaltete majestätisch meine Serviette und legte sie über das Tier, also mit Abstand, ich weiss ja nicht, was so ein Tier aushält.
Als Erika wegschaute, weil das Paar, das französisch sprach, rief, blies ich dem Tier ins Gebälk, aber die Saubohne bewegte sich nicht, wie ich es mir gewünscht hätte: auf den Boden, in die Ritze, weg, gerettet! Nichts davon, sie pfiff darauf. Ich war ja da. Sie sah mich als Beschützerin. Null Selbstverantwortung. Das Brot backen ja die Anderen. Jetzt hatte ich den Dreck.
Da kam Erika mit meiner Parmigiana aus der Küche gesteuert, ich fasste das Besteck und ass. Als ich den letzten Bissen geschluckt hatte, fiel mir das Tier ein. Aber es war weg. Ich zog ein Stück Brot aus dem Korb, um zu schauen, ob es wieder nach Hause gegangen war. Da war kein Tier. Ich bestellte einen Kaffee und war total beleidigt.
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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