Und plötzlich ging sie nicht mehr auf. Was war geschehen?
Neulich wollte ich in meiner Wohnung auf die Toilette gehen. Doch die Türe war versperrt. Eine an sich banale Situation, trotzdem verwunderlich, da sich niemand sonst in der Toilette befand, weder meine Frau noch mein einjähriger Sohn und Besuch hatten wir auch keinen. Warum also war die Türe verschlossen? Hatte sich jemand hineingeschlichen und wollte mir einen Streich spielen? Hallo!, rief ich. Doch die Antwort kam aus der Küche und nicht aus der Toilette. Ich rüttelte am Türgriff, um mich nochmals zu vergewissern. Eindeutig. Verflixt und zugesperrt nochmal! Wir wohnen in einer Altbauwohnung mit schmucken Türen und alten Kastenschlössern, wo unten so ein Hebelchen angebracht ist, um den Absperrriegel zu betätigen. Und dieser Riegel musste sich irgendwie von selbst ins Schloss geschoben haben. Aber wie? Und warum bloss abends um halb neun? Ich rüttelte weiter und dachte über ein gewaltsames Eindringen nach, bis mir Mike in den Sinn kam. Ein Nachbar, gelernter Flugzeugmechaniker und jetzt als Velomechaniker tätig. Der kennt bestimmt einen Trick, um hineinzukommen. Mike kam gerne zu Hilfe. Auch er rüttelte am alten Türgriff. Wahrscheinlich sei der Riegel nur ein, zwei Millimeter ins Schloss gefallen, vielleicht könne man die Türe leicht anheben und nach hinten schieben. Doch plötzlich hielt Mike nur noch den abgebrochenen Türgriff in der Hand. Darauf meinte er, nun könne er die Türe auch einfach eindrücken, das sei kein Problem. Ich hielt ihn davon ab, denn Gewalt ist keine gute Lösung. Oder hier etwa doch? Jedenfalls wollte ich keine unnötigen Schäden bezahlen müssen. Netterweise bot Mike uns an, jederzeit seine Toilette benutzen zu können. Also schlug ich meiner Frau vor, das Angebot anzunehmen, schlafen zu gehen und am nächsten Morgen die Verwaltung anzurufen, schliesslich war es schon spät. Dann standen auf einmal Steffi und Peter mit Werkzeugkasten in der Wohnung. Die Nachricht, dass sich unsere Toilettentüre wie von Geisterhand zugesperrt hat, hatte sich bereits im Haus verbreitet. Das Türrütteln, mit Zange als Ersatz für den kaputten Griff, ging also weiter. Erfolglos. Steffi schlug vor, das Schlüsselschild zu entfernen, doch die winzigen Schrauben waren dick übermalt und liessen sich nicht drehen. Zu guter Letzt gesellte sich noch Felix, ein weiterer Nachbar, mit seiner Expertise dazu. Nun wurden die Lösungsansätze richtig kreativ. Hat jemand einen starken Magneten? Damit könnten wir den Riegel zurückziehen. Oder will sich jemand vom oberen Stockwerk abseilen und durchs Fenster eindringen? Das wäre mal ein Abenteuer. Nein, wir müssen wie MacGyver vorgehen: Mit dem Schweizer Militärtaschenmesser einen Draht beugen und eine kleine Schlaufe formen. Den Draht schieben wir durchs Schlüsselloch, mit der Schlaufe bedienen wir den Hebel. Das muss funktionieren. Blöderweise war das Schlüsselloch mit einer kleinen Klappe abgedeckt. Damit sind gute alte Türschlosser nun mal ausgestattet, es soll ja niemand durchs Schlüsselloch schauen oder etwas hindurchschieben können. Also meinten die Jungs: Lass uns die Türe einfach eindrücken, das würde ohnehin am meisten Spass machen. Doch wir liessen es bleiben.
Am nächsten Morgen rief meine Frau die Verwaltung an, die einen Schreiner beauftragte, sich unserem Toilettenproblem anzunehmen. Er kam mit zwei grossen Kisten voller Werkzeuge. Hat er einen Zauberdietrich darin? Oder greift er zur Bohrmaschine? Nachdem der Fachmann kurz an der Türe gerüttelt hatte, nahm er sogleich das Brecheisen hervor. Alte Türen seien leicht aufzubrechen, meinte er lapidar. Die Türe zeigte sich jedoch widerspenstiger als erwartet, kurz überlegte er noch mit der Bohrmaschine vorzugehen, doch dann sprang die Türe auf. Die rohe Gewalt hatte gesiegt. Der Schreiner betrachtete die Innenseite der Türe, wo eine Bettflasche am Griff hin und her baumelte. Die Bettflasche! Sie muss es gewesen sein. Sie hatte sich beim Zuziehen der Türe derart bewegt, dass sie das Hebelchen unglücklich berührt und sich der Riegel zugeschoben hatte. Da der Schliessmechanismus lotterig war und sich ohne Kraftaufwand bedienen liess, durchaus ein realistisches Szenario. Was für ein Pech. Dafür hatten wir einen unerwartet lustigen Abend mit unseren lieben Nachbarn. Danke, es ist eine Freude, mit euch im Haus wohnen zu dürfen.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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