27.08.2016 Anne-Marie Flammersfeld 3 min
Wer nicht respektiert wird überfahren!

Wer nicht respektiert wird überfahren!

Zugegebenermassen bin ich meiner Sportart fremdgegangen und bewegte mich vor ein paar Tagen auf zwei Rädern durch die Landschaft, anstatt auf zwei Beinen. Die Mühen, die ich beim bergauf-strampeln hatte, wollte ich mit einem rasanten Bergab-Downhill wieder ausgleichen und liess mein Mountainbike einfach mal rollen (also ich sass schon noch drauf!). Durch das Suvrettatal war dies gar nicht mal so einfach, da der Weg doch über einige „Regenwasserabflussrillen“ verfügt und ich, da nicht sonderlich in Sprüngen mit dem Bike trainiert, immer wieder abbremsen musste. Den Fopettas-Trails schenkte ich mir und rollte einfach die Strasse Richtung Suvretta-Hotel hinunter und wurde (endlich) immer schneller. Wow, dachte ich, dass ist ja wie beim Skifahren, so schnell...! Völlig berauscht brauste ich immer schneller die Strasse runter. Plötzlich tauchte ein Auto vor mir auf und fuhr in meiner Fahrtrichtung die Strasse runter. Ich antizipierte blitzschnell, dass das Auto weiter geradeaus fahren musste, da ich weder einen Blinker links noch rechts bemerkte. Dem Fahrer fiel dies unterdessen wohl nicht auf, und er setzte zu einer Rechtskurve in die Strasse zum Suvretta-Hotel an. Ich stieg mit allen Kräften in meine Bremsen. Aber da ich so einen Bewegungsvorgang selten vorher erlebt hatte, war ich motorisch etwas überfordert. Mein Sprachzentrum glich dieses Defizit sofort aus und übernahm den Lead: Ich begann zu schreien! Mein ganzer Körper verkrampfte und bereitete sich auf einen massiven Aufprall vor. Doch wie durch ein Wunder kam ich mit meinem Bremsmanöver ungelogen 10cm vor dem Auto zum Stehen. Ich glaube, wir waren alle etwas unter Schock entschuldigten uns gegenseitig. Im Nachhinein war ich dann aber doch ganz schön sauer auf diesen respektlosen Autofahrer und erzählte die Geschichte aufgebracht in meinem Freundeskreis. Dabei merkte ich schnell, dass ich mit meiner Geschichte sicherlich keinen Preis gewonnen konnte, da die anderen viel Extremeres zu berichten hatten. Ich dachte über gegenseitigen Respekt nach. Genauso wie der Autofahrer rechtzeitig (oder überhaupt) hätte blinken können, hätte ich auch meine Geschwindigkeit den Gegebenheiten anpassen können. Dazu fiel mir dann auch noch ein, dass ich als Trailrunnerin (oder als Joggerin) schon oft andere Leute (Wanderer, Biker, Autofahrer) provoziert habe, wenn diese auf „meinen“ Wegen liefen und mir (als „Königin des Engadins“!) keinen Platz machten und ICH ausweichen musste. Anstatt die anderen Wanderer und die Grossfamilien, die auf „meinen“ Trails unterwegs sind, mit ausgefahrenen Ellbogen auseinander zu drängen, könnte ich ja auch mal zur Seite springen. Anstatt den Mountainbikern, die mir auf meinen Trails entgegenkommen, nur ein mürrisches und genervtes „mhhh“ auf ihr „Dankeschön“ entgegenzubringen, könnte ich auch einfach nett und in grammatikalisch richtig aufgebauten Sätzen antworten. Es hat also alles mit gegenseitigem Respekt zu tun, wenn wir uns auf den öffentlichen Wegen, die für alle da sind, bewegen. „Sharing“ ist doch eigentlich auch total in. Also kann doch auch ein öffentlicher Weg „geshared“ werden. Ich versuche ab sofort als gutes Bespiel voran zu gehen und meine Trails auch für andere „zu öffnen“. Ich halte die Augen offen und grüsse freundlichst. Ich mache Platz und weiche aus. Vielleicht übernehmen die anderen ja dann auch mein Verhalten. Seid also alle herzlich auf meinen und unseren Wegen willkommen. Dann hört ihr vielleicht auch mal einen Satz einer Wanderin wie „Komm zur Seite Hermann, lass das junge Fräulein mal durch!“

Anne-Marie Flammersfeld

Anne-Marie Flammersfeld ist Diplom-Sportwissenschaftlerin, Personal Trainerin und hat einen BSc. in Psychologie. Sie hält einige sportliche Rekorde. So konnte sie 2012 als erste Frau der Welt alle vier Rennen der «Racing the Planet 4 Deserts Serie» gewinnen und lief 1000 Kilometer durch die vier grössten Wüste der Welt. Sie ist in 8h32 auf den Kilimanjaro gelaufen und konnte den damaligen Weltrekord um gute drei Stunden verbessern. Am Nordpol war sie auch und ihr Streckenrekord steht immer noch bereit, um eingeholt zu werden. Die 1978 geborene deutsche Sportlerin arbeitet mit ihrem Unternehmen all mountain fitness in St. Moritz und dem Engadin. Als Personal Trainerin ist sie für alle da, die etwas Nachhilfe in Sachen Bewegung brauchen! Aber immer mit einem Augenzwinkern. Sie hält regelmässig Vorträge zu Themen aus den Bereichen Motivation, Begeisterung und Grenzen überwinden.
www.allmountainfitness.ch
annemarieflammersfeld.blogspot.com