Foto: Patrick Blarer
Die Erinnerungsfunktion von Facebook versagt nie. Im Juli poppte das Bild von Michael Fehr und mir auf, dem Schweizer und der Schweizerin, die für den Bachmannpreis 2014 in Klagenfurt nominiert waren. Ich teilte es. Es erhielt mehr Zuspruch als damals, obwohl ich seit zwei Jahren nur noch selten poste, dazwischen aber war ich begeistert bei der Sache. Auf Facebook habe ich mich mit vielen Menschen verbunden, was persönlicher Gewinn und Inspiration war und ist, dieser Kanal (und auch Twitter, unterdessen daueraggressiv) machte mich sichtbar, als ich mich noch tastend «Schreibende» nannte, nachdem ich Ende Schuljahr 2012 meinen geliebten Beruf als Lehrerin und das institutionalisierte, mir so kostbare Gespräch mit jungen Menschen aufgegeben hatte, um etwas zu tun, von dem ich keinen Schimmer hatte: literarische Texte veröffentlichen und dabei hoffen, dass sie nicht nur Mann, Kinder und zwei Freundinnen lesen, aus Höflichkeit, Mitleid oder wegen der Aprikosenwähe.Lehrerkolleginnen und -kollegen meinten an meinem letzten Schultag tröstend: Sei nicht traurig, in einem Jahr bist du wieder bei uns. Das war eine realistische Einschätzung. Wider jede Logik klappte es dann doch mit diesem neuen Beruf, ein paar Texte kamen zwischen Buchdeckel, Texte von Einer, die – vom schweizerischen Mittelland aus gesehen – in einer Randregion lebt («weg vom Schuss»), keinerlei Bezug zu Kultur-, Literatur- und Medien-Branche und deren Mechanismen hatte, eine alte Jungautorin (46) mit langweiliger oder sagen wir übersichtlicher Biographie. Literarisch konnte ich beim Start nichts vorweisen, keine Publikation, keinen Preis, und es gab null Selbstverständnis für diese unbürgerliche Tätigkeit, ich war die Erste in meiner Herkunfts-Familie mit einer Matura, was ich bereits als eine Art Verrat empfand, irgendwie unheimlich und falsch. Und dann noch Kunst und so. Muss das sein? Nach der Kündigung empfand ich mich immer mal wieder als Behauptung und leeres Versprechen, wie unverschämt, einfach so auftauchen ohne Einladung, war das nicht Betrug, und – von heute aus betrachtet – reichlich naiv? Zum Glück! Wie viele Menschen trauen sich etwas zu, weil sie nicht stundenlang überlegen und dauernd gesagt bekommen, dass sie eventuell verbal verprügelt, ignoriert oder ausgelacht werden. Sie machen einfach drauflos. Beim Betrachten der Juli-Erinnerung wurde mir bewusst, wie sehr mich beim Drauflosmachen in den ersten Jahren die sogenannten sozialen Medien unterstützt und zu Sichtbarkeit verholfen hatten, vor allem Facebook. Unterdessen wäre das undenkbar, nicht nur wegen der Logarithmen. Manchmal geht das Drauflos in die Hose, manchmal nur halb – oder nicht. Wenn es nicht in die Hose geht, dann haben wir immer auch Glück gehabt. Ohne Glück und gutes Timing, auch Gesundheit, also Dinge, die wir nicht oder sehr bedingt beeinflussen können, läuft gar nichts. Ohne Aushalten und Einstecken auch nicht. Die vielen abwertenden Bemerkungen, die zu Beginn (und später anders) kommen.
Ich war 46 und kannte mich mit Haue schon ein bisschen aus, aber was ist mit jungen Leuten, vor allem mit denen, die keine guten Startbedingungen haben? Zum Schluss schaltet sich die alte Lehrerin in mir ein und sagt: Erblickt die Jungen, lobt sie so oft wie möglich, geht gegen Demütigungen vor, helft ihnen, schreibt Empfehlungen, bestärkt sie in ihren Leidenschaften, auch wenn sie etwas Unerwartetes anpacken. Ohne die paar Leute, die an dich glauben, geht es nicht. Ich habe gelesen, drei Leute, die an dich glauben, reichen. Ich würde sagen: Fünf sind besser.Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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