Ob von Hand oder digital geführt: Nicht selten sind Pendenzenlisten von Journalistinnen und Journalisten Makulatur, kaum sind sie geschrieben. Foto: www./shutterstock.com/paulaphoto
Ich liebe Pendenzenlisten. Von Hand geschriebene versteht sich. Wenn etwas erledigt ist, streicht man die Pendenz durch. Ein gutes Gefühl. Und wenn das Blatt nur noch aus durchgestrichenen Pendenzen besteht, wirft man dieses fort. Ein sehr gutes Gefühl. Ich weiss, heute nennt sich das «To do-Listen» und sie werden digital geführt. Trotzdem: Ich halte an meinen von Hand geschriebenen Listen fest. Was nichts daran ändert, dass solche Listen häufig Makulatur sind, kaum ist die Tinte trocken. Okay, ein komplett veralteter Ausdruck, aber wer seine Pendenzenlisten noch von Hand schreibt, darf auch eine solche Redewendung benutzen. Also, das stand auf meiner Liste vor einer Woche: «Geschäftsleitungssitzung vorbereiten», «Redaktionsklausur vorbereiten», «Thema für den Besuch des Esaf in Pratteln» überlegen, «Arbeitszeit erfassen», «Unterlagen für die Gemeinderatssitzung vom Abend studieren. Sie merken: Ich hatte – zumindest in meiner Vorstellung – einen schreibfreien Tag vor mir. Einen Tag, an dem sich endlich die vielen liegengebliebenen Pendenzen erledigen liessen. Dann, über Mittag kam die Medienmitteilung, dass der Präsident der VK Infra RFS – ich erspare Ihnen an dieser Stelle die Übersetzung der Abkürzung, weil sie nichts zur Sache tut – nach persönlichen Angriffen zurücktreten wird. Der Nachmittag war ausgefüllt mit drei Recherchetelefon-Gesprächen, dem Verfassen des Artikels und dem Schreiben eines Kommentars zur ganzen leidigen Angelegenheit. Kurz bevor ich in den St. Moritzer Gemeinderat aufmachte, fand ich unter all meinen Unterlagen die etwas zerknitterte Liste vom Vormittag. Alle Pendenzen standen noch so auf dem Papier, wie ich sie aufgeschrieben hatte. Keine einzige war durchgestrichen. Ein schlechtes Gefühl. Doch das ist jammern auf hohem Niveau. Der Reiz des Journalismus besteht ja gerade darin, dass kein Tag wie der andere verläuft, dass plötzlich ein Thema auf dem Pult liegt, welches höchste Priorität geniesst. Selbstverständlich gibt es auch die anderen Tage, die planbaren, welche dann auch genauso verlaufen. Ich erinnere mich drei Wochen zurück. An einem Nachmittag durfte ich mit einem Glaziologen zum Morteratsch-Gletscher wandern und viel über die möglichen Auswirkungen der Gletscherschmelze erfahren. Eine Woche später erklärte mit ein pensionierter Forstingenieur in der Val Susauna, was die Rückkehr von Grossraubtieren auf die Kulturlandschaft bedeutet. Ein paar Tage später konnte ich mit dem Gemeindepräsidenten von Bregaglia ein ausführliches Gespräch zur Situation fünf Jahre nach dem Bergsturz am Pizzo Cengalo machen und letztes Wochenende führte mich mein (journalistischer) Weg nach Pratteln ans Eidgenössische Schwing- und Älplerfest. Journalismus kann unberechenbar sein. Meistens aber ist er ganz einfach wunderbar spannend, herausforderungsreich und inspirierend. Auch nach 25 Jahren. Autor: Reto Stifel
Redaktion Engadiner Post
Wie geht es auf einer Redaktion zu und her? Inbesondere an einem Produktionstag? Was macht ein Redaktor/eine Redaktorin den lieben langen Tag? Und was braucht es, von der Idee bis zum vollständigen Bericht in der Zeitung? Über diese und weitere Themen lesen Sie regelmässig im Redaktionsblog der «Engadiner Post/Posta Ladina».
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