Foto: Pexels / Lum3n
Neulich war ich einkaufen. Vor der Babynahrungsabteilung blieb ich stehen und studierte die Gläschen mit Brei. Alle Hersteller werben mit Bio-Qualität – natürlich will man als Eltern nur das Beste fürs Kind. Auf den Gläschen des einen Herstellers stand zudem KLIMAPOSITIV. Unüberlesbar gross auf dem Deckel. Klimapositiv!? Was genau soll das sein, fragte ich mich. Dass ein positives Klima am Familientisch herrscht, wenn der Hunger des Sohnemanns endlich gestillt ist? Oder dass mit dem Verzehr von möglichst vielen Gläschen die Gletscher plötzlich wieder anfangen zu wachsen? Kann ein Klima überhaupt positiv sein? Ich kenne Klimata (ja, das ist die Pluralform) als gemässigt, tropisch, mediterran und hochalpin. Vielleicht als heiss oder überhitzt. Und ob wir etwas davon als positiv oder negativ empfinden, ist eine Frage der persönlichen Vorliebe, nicht wahr? Schon klar. Mit «klimapositiv» ist die CO2-Bilanz des Produkts gemeint. Eine positive Klimabilanz bedeutet, dass für die Herstellung nicht nur kein CO2 verursacht, sondern sogar CO2 aus der Atmosphäre entnommen wird. Ein absurdes Versprechen. Wie soll das gehen? Wird beim Abfüllen der Gläschen CO2 aus der Luft gesaugt und endgelagert? Oder laufen die Maschinen mit einer strenggeheimen Antriebstechnik, die mit Licht und Kohlenstoffdioxid läuft und als Abgas reinen Sauerstoff freigibt: dem Photosynthese-Motor? Selbstverständlich wird bei der Herstellung des Babybreis CO2 freigesetzt. Es ist unmöglich «klimapositive» Produkte herzustellen, zumindest zum aktuellen Stand der Technik nicht (wir müssen auf den Photosynthese-Motor warten). Das schreibt auch der Babybreihersteller auf seiner Website: «Kein Produkt kann CO2-frei sein und kein Unternehmen CO2-frei wirtschaften». Klimapositive und klimaneutrale Produkte gibt es dank Klimaschutzzertifikaten. Man kauft ein Zertifikat aus einem Klimaschutzprogramm, kann weiterhin Klimagase freisetzen und sich werbewirksam klimaneutral nennen – oder sogar klimapositiv, wenn man ein paar Zertifikate obendrauf kauft. Es ist eine Frage des Geldes und des rechnerischen Ausgleichs. So die zugespitzte Erklärung. Der Handel mit CO2-Wertpapieren und die Zertifizierungsprozesse sind hochkomplex. Eine ganze Industrie steht dahinter, die Standards definiert. Viele Daten basieren auf Hochrechnungen, Mittelwerten und Schätzungen, die kaum frei von Lobbyismus sind. Klimaneutral und -positiv kann auf diese Weise alles sein: Flugreisen. Die Privatjacht. Motorsport-Rennen. Und ab diesem Winter Skifahren im Oberengadin, wie ich in der Engadiner Post gelesen hab. Die Bergbahnen haben es sich wohl etwas zu einfach gemacht, indem sie einfach einen neuen Treibstoff verwenden, der zwar teurer ist und Klimaschutzprojekte mitfinanziert, aber dennoch auf Erdgas basiert. Viele Klimaschutzprojekte sind natürlich sinnvoll. Man kann sich jedoch fragen, ob es tatsächlich diese enorme Bürokratie rund um die CO2-Zertifikate dafür braucht. Oder ob man Klimaschutzprojekte nicht auch auf eine einfachere und ehrlichere Art und Weise realisieren kann. Ohne schönfärbende Schlagworte. Das «klimapositiv» ein absurdes Versprechen ist, gibt der Breihersteller auch auf seiner Website zu. Da lese ich nach langem Suchen: «Klimapositiv soll nicht suggerieren, dass ein Mehrkonsum dieses Produktes positiv für das Klima wäre. Wir gehen davon aus, dass Verbrauchende verstehen, dass jedes Produkt Treibhausgasemissionen erzeugt». Nun ja, womöglich ist der Hersteller trotzdem froh, wenn der eine Konsument oder die andere Käuferin auf die ungewollte Suggestion hereinfällt und deshalb das Gläschen kauft. Ich entschloss mich, stattdessen Frischgemüse zu kaufen und den Babybrei selber zu kochen. Total klimanegativ.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
Diskutieren Sie mit
anmelden, um Kommentar zu schreiben