Foto: Romana Ganzoni
Der 1. Oktober 2022 war ein Tag, der sich auch nach dem Mittag der Dämmerung nicht entledigen konnte. Als ich vom Münsterplatz her auf die Rathausbrücke trat, wechselten sich Rednerinnen und Redner bereits ab. Es wurde skandiert, vor mir summten zwei Frauen ein trauriges Lied. Ich stand ganz hinten, blickte an Schultern und Hinterköpfe. Manche Transparente waren beidseitig beschriftet. Ich las: "Unterstützt den Aufstand der Frauen im Iran gegen Zwangsverhüllung!" Und: "Islamic Republic of Iran is not Iran."
Überall Regenschirme. Gutes Schuhwerk, wasserdichte Jacken.Ich war schlecht ausgerüstet, aber das Wetter beschäftigte mich nicht. Auch als der Regen stärker wurde, sah ich keinen Anlass zu gehen. Ich wollte die Situation, die mich zuerst an eine Beerdigung erinnerte, aushalten. Aushalten, dass ich nichts anderes beitragen konnte zu Frieden und Befreiung in einem Land, das 60 Fahrstunden entfernt liegt, als stumm auf einer Schweizer Brücke zu stehen mit tausend anderen Menschen, von denen bestimmt einige direkt betroffen waren.
An einem dunklen Nachmittag mit ihnen in einem Raum aus Trauer, Zorn und Hoffnung stehen.Hoffnung, dass Kampf und Mut der Frauen und Männer, die sich offen gegen ein grausames Regime stellen, nicht zu Massenmorden, Massakern und noch mehr Unterdrückung führen würde. Hoffnung, dass Gesten der Solidarität die Bewegung stärken. Hoffnung, dass politische, soziale und kulturelle Forderungen erfüllt werden und die Menschen blühen lassen. Dastehen. Allein. Zusammen. In einem offenen Raum, der sich während der Veranstaltung verdichtete, ein Dach bekam, Wände, Fenster und Türen, um die Gleichgesinnten einzulassen. Um das zu bewahren und zu schützen, was hier wohl alle spürten: Widerstand und Bedrängnis, die tiefem Ernst entspringt, das Wissen um das, was wirklich Bedeutung hat und existenziell wichtig ist im Leben.
Die Demonstration war eine stille Anti-Show, null Unterhaltung, null Life-Style, kein Ego-Trip und keine Spur von Konsum-Anliegen, die sonst fast alle Bereiche unseres Lebens durchdringen und die Menschen schwächen. Sollte ich beten? Mir fielen die guten Worte und Sätze nicht ein. Mein Kopf war leer, die Beine wie aus Blei. Zeit zu gehen. Ich drehte mich um und trat an die Absperrung, ein Polizist hob das Band und nickte mir freundlich zu, ich bückte mich und ging wieder Richtung Münsterplatz.
Ein Teil von mir stand bis zum Ende der Reden und des Schweigens auf der Brücke im Regen.
Überall Regenschirme. Gutes Schuhwerk, wasserdichte Jacken.Ich war schlecht ausgerüstet, aber das Wetter beschäftigte mich nicht. Auch als der Regen stärker wurde, sah ich keinen Anlass zu gehen. Ich wollte die Situation, die mich zuerst an eine Beerdigung erinnerte, aushalten. Aushalten, dass ich nichts anderes beitragen konnte zu Frieden und Befreiung in einem Land, das 60 Fahrstunden entfernt liegt, als stumm auf einer Schweizer Brücke zu stehen mit tausend anderen Menschen, von denen bestimmt einige direkt betroffen waren.
An einem dunklen Nachmittag mit ihnen in einem Raum aus Trauer, Zorn und Hoffnung stehen.Hoffnung, dass Kampf und Mut der Frauen und Männer, die sich offen gegen ein grausames Regime stellen, nicht zu Massenmorden, Massakern und noch mehr Unterdrückung führen würde. Hoffnung, dass Gesten der Solidarität die Bewegung stärken. Hoffnung, dass politische, soziale und kulturelle Forderungen erfüllt werden und die Menschen blühen lassen. Dastehen. Allein. Zusammen. In einem offenen Raum, der sich während der Veranstaltung verdichtete, ein Dach bekam, Wände, Fenster und Türen, um die Gleichgesinnten einzulassen. Um das zu bewahren und zu schützen, was hier wohl alle spürten: Widerstand und Bedrängnis, die tiefem Ernst entspringt, das Wissen um das, was wirklich Bedeutung hat und existenziell wichtig ist im Leben.
Die Demonstration war eine stille Anti-Show, null Unterhaltung, null Life-Style, kein Ego-Trip und keine Spur von Konsum-Anliegen, die sonst fast alle Bereiche unseres Lebens durchdringen und die Menschen schwächen. Sollte ich beten? Mir fielen die guten Worte und Sätze nicht ein. Mein Kopf war leer, die Beine wie aus Blei. Zeit zu gehen. Ich drehte mich um und trat an die Absperrung, ein Polizist hob das Band und nickte mir freundlich zu, ich bückte mich und ging wieder Richtung Münsterplatz.
Ein Teil von mir stand bis zum Ende der Reden und des Schweigens auf der Brücke im Regen.
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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