Neulich habe ich einen Samichlaus gesehen. Zusammen mit seinem Schmutzli lief er durchs Dorf, das schön verschneit war. Nur der Esel hat gefehlt. So wie immer. Als kleines Kind fragte ich jedes Mal nach dem Esel. Ich wollte ihn streicheln, füttern oder zumindest sehen. Doch der Esel war entweder krank oder er hatte sich gerade ein Bein gebrochen, wie mir der Samichlaus jeweils mit trauriger Miene erzählte. Im nächsten Jahr werde er den Esel aber bestimmt mitbringen, versprach er mir. Was für eine freche Lüge mir der bärtige Mann auftischte, um mich im gleichen Atemzug zu ermahnen, dass ich mich brav und anständig verhalten solle. Irgendwann habe ich dann herausgefunden, dass nicht nur die Esel-Geschichte gelogen war, sondern auch der Bart falsch, und dass der Samichlaus nicht im Wald wohnt, sondern in der Nachbarschaft und sich nach getaner Arbeit gerne zum Bier im Pöstli trifft – zusammen mit anderen Samichläusen und Schmutzlis. Ich war natürlich enttäuscht, weil ich angelogen wurde und weil es nicht nur einen, sondern ganz viele Samichläuse gibt. Dass am Samichlaus irgendetwas faul sein muss, hatte ich schon lange vermutet, denn ich konnte mir nicht erklären, wie er an nur einem Abend alle Kinder auf der Welt besuchen konnte. Auch als ich nicht mehr an den Samichlaus glaubte, blieb der 6. Dezember ein wichtiger Tag für mich. Denn als Schüler trafen wir uns abends zum Samichlaus ärgern. Schülerinnen waren in der Regel nicht dabei, sich mit dem Samichlaus und Schmutzli anzulegen, war Bubensache. Wir versteckten uns auf Anhöhen und hinter Mauern, um die roten und schwarzen Kutten mit Schneebällen zu bewerfen und Frauenfürzen einzuschüchtern. Danach suchten wir schnell das Weite, um nicht erwischt zu werden. Falls doch einer erwischt wurde, gab es Haue, nicht etwa mit der Fitze, sondern mit dem Stock. Die verkleideten Jungs der Giuventüna waren nicht gerade zimperlich. Die Tradition, den Samichlaus zu ärgern, war mir so wichtig, dass ich eine Stunde länger im Ausgang bleiben durfte als sonst, während mein kleiner Bruder zuhause auf den Samichlaus warten musste. Später wurde ich selber Schmutzli. Diese Rolle lag mir mehr, da ich nicht reden wollte. Zusammen mit meinem Kumpel, der die sonore Samichlaus-Stimme gut beherrschte, gingen wir von Haustüre zu Haustüre. Die meisten Kinder hatten Angst oder zumindest Respekt, obwohl sie gar nicht richtig an den Samichlaus glaubten, wie wir bemerkten. Einige fragten nach dem Esel, der wie immer ein Bein gebrochen hatte. Natürlich wurden auch wir geärgert. Mein kleiner Bruder, inzwischen zum Anführer der Samichlaus-Ärgerer avanciert, kommandierte eine erfolgreiche Schneebombenattacke vom Dach des Hallenbads. Wir bekamen die volle Ladung ab. Ich hörte sein Lachen, doch wir erwischten ihn nicht. Und um ihm nachzujagen hatten wir keine Zeit, denn wir waren schon etwas im Rückstand mit dem Zeitplan. Samichlaus, was für eine schöne Tradition. Nachdenklich stimmt mich, wenn ich dieser Tage in Zeitungen lese, der Samichlaus gehöre als alter weisser Mann entsorgt. Und überhaupt, was ist mit Chläusinnen und Schmutzlinnen? Die Nachfrage nach Samichlaus-Hausbesuchen gehe deshalb zurück, stattdessen würden viele Familien Halloween feiern, das sei genderneutral. Lieber ein Fest, wo Kinder das Böse zelebrieren, als eine christliche Tradition, wo Kinder gutes Benehmen lernen. Verrückte Welt.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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