Neulich habe ich einen Bio-Apfel gegessen. Ich drehte ihn in der Hand und schaute ihn genau an. Genial so ein Apfel. Was für Rundungen. Perfekt geformt bis zur Krümmung des Stiels. Schöne rote Farbe mit einem harmonischen Verlauf ins Gelb. Wie Gott – oder für Atheisten – die Natur das schafft, ist mir unbegreiflich, wenn man bedenkt, dass am Ursprung ein winziger Same war, der zum mächtigen Apfelbaum gewachsen ist und jedes Jahr Früchte trägt. Und als ob das nicht genug wäre, erstrahlt der Apfelbaum im Frühling in herrlich weissem Blütenkleid. Warum? Für die Fortpflanzung natürlich. Aber warum in einer so prachtvollen Aufmachung? Ich glaube, weil Gott uns mit Schönheit erfreuen möchte. Einfach so nebenbei, weil‘s ihm Vergnügen bereitet. Nur etwas störte mich, als ich den Apfel anschaute: Ein kleines Kleberli mit der Aufschrift Bio. Warum klebt das hier, fragte ich mich. Damit ich sicher sein kann, in einen Bio-Apfel zu beissen und auf keinen Fall in einen konventionell angebauten Apfel. Denn das ist eine verbotene Frucht. Sie wird mithilfe von chemischen Pflanzenschutzmitteln und mineralischen Düngern kultiviert. Sie zu essen ist eine Sünde. Fast so wie damals bei Adam und Eva. Nur heisst der neue Gott nicht Jahwe, sondern Bio, ihn gilt es zu verehren und zu verzehren. Okay, vielleicht ist dieser Gedanke ein wenig weit hergeholt. Klebt das Kleberli auf dem Bio-Apfel, damit beim Einkauf nicht betrogen wird, und man nicht «aus Versehen» teure Bio-Äpfel mit dem Preis der günstigeren Normalo-Äpfel taxiert? Sind die Detailhändler tatsächlich so misstrauisch gegenüber den woken Bio-Konsumenten*innen? Auch diese Überlegung leuchtet mir nicht vollends ein, da man an der Selbstbedienungskasse den ganzen Einkauf ohnehin selber einscannen kann. Die nächste Frage, die mich vor dem Biss in den Apfel beschäftigte, war dann weniger philosophisch, sondern praktischer Natur: Woraus besteht dieses Kleberli eigentlich? Aus Papier? Hoffentlich FSC-zertifiziert. Und wie setzt sich der Leim zusammen? Aus Inhaltsstoffen, die 100% biologisch abbaubar sind? Beim Betrachten des Apfels fand ich keine Hinweise darauf, doch der Verdacht kam auf, dass das Kleberli womöglich auch Kunststoffanteile enthält. Es ist schon paradox: Bio ist fast immer viel aufwändiger verpackt als konventionell angebautes Gemüse und Obst. Oft eingeschweisst in Folien. Manchmal umringt mit dicken Gummibändern und behangen mit grossen Plastiketiketten. Hauptsache es steht gross Bio drauf. Warum so viel unnötiger Plastik und Extraaufwand, das passt doch nicht zusammen. Oder geht es bei Bio vor allem um Marketing und fette Margen? Dass die Detailhändler in der Schweiz für Bio-Produkte zu viel Geld verlangen, hat sogar der Preisüberwacher beanstandet, wie man vor Kurzem in den Medien lesen konnte. Um den Apfel endlich zu essen, musste ich noch das Kleberli wegklauben. Doch beim Entfernen löste sich nicht nur das Bio-Label, sondern auch gleich die Apfelhaut darunter. Wenn der Leim so gut haftet, muss er bestimmt giftig sein, dachte ich. Immerhin schmeckte der Apfel sehr gut und der gestillte Hunger brachte mich auf andere Gedanken.
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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