Foto: Daniel Zaugg
Wie alle Menschen möchte auch ich wahrgenommen werden, aber bitte nicht für das, was ich vor Jahrzehnten war (jung) oder bleiben soll (junggeblieben), ich möchte wahrgenommen werden wegen dem, was ich morgen vorhabe und dem, was ich heute mache und gerne auch für das, was ich bin, unter anderem eine ältere Frau. Nach der Geburt wurde ich ungefragt in die Kindheit abtransportiert, dann in die Jugend, kein Mensch erklärte mir damals, dass diese Phase heroisiert und zu Konsumzwecken missbraucht wird, dass ich fortan an diesem Alter gemessen werde, nicht nur ästhetisch, auch mental, mir wurde vieles nicht erklärt, schon war ich in meinem vierzigsten Jahr und der Transport ging weiter und weiter und weiter. Läuft bei mir. Ich höre die charmante Entgegnung derer, die mich trösten wollen: Du bist doch nicht älter, fünfzig ist das neue dreissig, du bist noch jung. Danke, das ist nett, aber gelogen, ich bin älter, will es sein, ist übrigens ein Privileg, nicht allen wird es zuteil. Ich würde mir mit einem Wunschring fünf Hühner wünschen, aber sicher nicht, nochmals zwanzig zu sein, nichts gegen zwanzig, die Leute sehen grossartig aus (alle!), aber die meisten wissen es nicht, nützt also nicht viel, erst mit 40 trifft sie der Schlag, wenn sie Fotos anschauen von früher. Mon Dieu, was war ich hübsch! Ich sehne mich nicht danach, denn ich möchte mit Sechzehn- und Zwanzigjährigen arbeiten, mir sagen junge Leute zu. Die Art, wie wir miteinander umgehen und reden, alles, was mich an diesen Dialogen interessiert, ist nur möglich, weil ich ein Mensch mit Lebenserfahrung bin, die kann ich einbringen, die Jungen bringen ihren Blick, Frische, Energie, viel Wissen und Können. Läuft bei denen. Möchte – vielleicht sogar wider besseres Wissen - etwas Optimismus versprühen, als 1967 Geborene habe ich das Konzept Zukunft als intakte Instanz in Erinnerung. Wenn jungen Leuten das abgeht, kann ich nur sagen, ich verstehe euch. Ich könnte mir Asche aufs Haupt streuen oder sagen: 1988 war die Welt noch in Ordnung, der Weisswein runtergekühlt und alle durften im Flugzeug rauchen, es war schön. Aber so war es nicht. Es stehen uns nicht nur heitere Zeiten bevor, aber wir können viel tun. Ich weiss es aus Erzählungen derer, die vor mir gelebt haben und aus meiner Erfahrung. Weil ich nicht mehr jung bin. Weil ich nicht jung bin, kann ich vielleicht auch mal ein Möbelstück verrücken, das den Blick aus dem Fenster blockiert, helfen, in die Weite zu schauen.Läuft bei uns.Warum schreibe ich das? Weil ich kürzlich, auf dem Transport in mein 56. Jahr, in einer Einladung lese, es seien Junge und Junggebliebene zum Event willkommen. Damit wollten die mich ansprechen. Bin ich ein Elektrovelo? Keinen Saft mehr, aber trotzdem die Trainierten abhängen? Nö. Keine Tricks. Pubertät, Adoleszenz und Midlife Crisis liegen hinter mir. Das heisst ja nicht, dass mir nichts mehr einfällt.
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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