12.06.2023 Romana Ganzoni 2 min
Foto: Freepik

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Gestern sass ich in einer Pizzeria, am Tisch vor mir zwei Paare, Leute um die siebzig. Da beginnt die eine Frau sehr laut: Renate war immer sooo lustig, einmal ging sie zum Tramchauffeur und fragte… 

Da kam der Kellner. Haben Sie etwas gefunden?, fragte er, woraufhin bestellt wurde - und bestellt und bestellt und bestellt und bestellt. Eine Katastrophe für alle, die dabeisassen und die Geschichte von Renate, die immer sooo lustig war, hören wollten. Der abgerissene Satz schwebte unglücklich zum Ausgang und dann nach oben, bis er wieder über dem Tisch der Menschen mit dem unnatürlich guten Appetit hing. 

Nach einer gefühlten halben Stunde war fertigbestellt. Die, die wusste, wie es mit Renate und dem Tramchauffeur weitergehen würde, schwieg. Sie wirkte unbelastet. Ich schaute aufmunternd, dann genervt rüber. Keine Reaktion. Da griff die Rothaarige am Nebentisch ein. 

Wie war das jetzt mit Renate?

Welche Renate?

Sie hatten es grad von ihr. Die lustige Renate und der Tramchauffeur.

Also lustig ist sie wirklich. Mon Dieu!

Sie ging zum Chauffeur. Und dann?

Wie kommen Sie jetzt drauf, dass Sie das etwas angeht? Kennen wir uns?

Nein.

Scheint mir auch. Wir kennen uns nicht.

Sie haben vorher mit einer Geschichte begonnen und zwar so laut, dass Sie mir und dem ganzen Lokal das Ende der Geschichte schulden. Die Pointe, los!

Mag sein. Aber ich schulde niemandem etwas. Punkt.

Erzählen Sie weiter, gopfertori nomol!

Nein!

Das Begleitkomitee der Erzähl-Verweigererin glotzte. Der Mann der Fragerin glotzte zurück. Ich glotzte bestimmt auch. Der Kellner rannte vorbei. 

Jetzt ist mir noch ein Detail zu der Story eingefallen. hahaha So gut!, rief die Frau, die uns hätte unterhalten können, es aber nicht tat. Nun winkte sie dem Kellner und sagte zuckersüss, doch der andere Salat, bitte.

Danach Schweigen. Bis der Kellner mit den Getränken kam. 

Zum Wohl! Zum Wohl! Und so weiter.

Ich dachte über ein Gesetz nach, das Leute unter Androhung einer Busse nicht unter 5000 Franken zwang, Geschichten fertig zu erzählen und zwar gut (!), dann spielte ich noch eine Weile mit meinem Kugelschreiber und bestellte irgendwann die Rechnung. Die beiden am Nebentisch waren grade gegangen, hässig. 

Als ich – auch hässig - am Vierer-Tisch vorbeikam, sagte ich gedehnt: Ich wünsche Ihnen… 

Was?

Ich glotzte. Sie glotzten.

Sagen Sie schon! Was?

Ach, nichts, sagte ich, und dachte, ewige Höllenqualen! Dazu schaute ich so dunkel wie die schwarzen Oliven auf ihrem Tisch.





Romana Ganzoni

Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.