«Einfach aus dem Fenster zu schauen, die Umwelt wahrzunehmen und die Sinne intensiv zu reizen – mit Kaffee und Musik – ist der beste Zeitgebrauch», hat Valentina Baumann für sich entschieden.
Als ich neulich auf dem Weg von Winterthur nach Celerina war – diese Strecke (und auch wieder retour) fahre ich fast jedes Wochenende – habe ich wieder einiges an Zeit gehabt, die ich meistens nicht ganz optimal genutzt ziehen lasse.
Vor einem Jahr, als ich neu an die Universität kam, fand ich in den häufigen Zugfahrten viele Möglichkeiten, produktiv zu sein. Ich habe mir Podcasts von Vorlesungen angeschaut, Literatur gelesen, die zu den Fächern gehört, Notizen gemacht, wichtige Aussagen markiert, Mindmaps gezeichnet, Texte geschrieben, gelernt und das Gelernte wiederholt. Nach vier Stunden war ich endlich zu Hause angekommen – natürlich fix und fertig. Und je weiter das Semester voranschritt, desto mehr verliess mich mein Wille, im Zug zu arbeiten.
Als ich irgendwann genug davon hatte – wie gesagt, es ist ziemlich mühsam und anstrengend – bin ich auf Literatur umgestiegen, und zwar auf solche, die ich ausgesucht hatte und die viel angenehmer zu lesen war als die Pflichtlektüre. Da ich das Lesen ebenfalls für produktiv halte, war ich nicht zu hart mit mir und habe es durchgehen lassen, die Universität ein bisschen zu vernachlässigen und dafür unter der Woche mehr zu lernen.
Und mittlerweile? Mittlerweile ist mir das Lesen auch zu anstrengend geworden (meistens jedenfalls) und daher verbringe ich vier Stunden damit, Musik zu hören, Kaffee zu trinken, aus dem Fenster zu schauen und mich meinen Gedanken hinzugeben. Und wenn ich ehrlich bin, finde ich diese Zeit noch viel weiser verbracht, als wenn ich per definitionem «produktiv» bin.
Manchmal ein bisschen innezuhalten, etwas zu tun, das man geniesst, sich Zeit zu nehmen und sich die Welt auch einmal etwas genauer anzuschauen, finde ich letztendlich doch wichtiger, als irgend etwas erledigt zu bekommen. Vor allem wenn man während dieser Zeit von Julio Iglesias, Joe Dassin, Eros Ramazotti und Elton John begleitet wird. Und wenn Sie mich fragen, sind diese acht Stunden am Wochenende schlussendlich doch sehr weise verbracht.
P.S. Diesen Text habe ich während einer dieser Zugfahrten geschrieben, aber das ist eine Ausnahme – versprochen.
Valentina Baumann
Valentina Baumann ist 19 Jahre alt und in Celerina aufgewachsen. Im Sommer 2021 hat sie die Matura am Lyceum Alpinum in Zuoz gemacht und ist danach für sechs Monate in die redaktionelle Welt der Engadiner Post eingetaucht. Das neugewonnene Wissen hat sie an die Universität Zürich mitgenommen, wo sie Medienforschung studiert. Obwohl sie vieles, ihre beiden Katzen zum Beispiel, im Engadin zurücklassen muss, freut sie sich über Ballettaufführungen, riesige Universitätsbibliotheken, die Bücherwurmherzen höherschlagen lassen, Katzen-Kaffees, doppelstöckige Züge, Trenchcoat tragende Leute und alles Neue, was ihr die Grossstadt bieten kann.
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