Foto: Shutterstock/Veja
Vor Kurzem hatte ich ein ganz besonderes Abenteuer. Kleiderentsorgung! Ein Spektakel, das ich so schnell nicht vergessen werde. Es war an einem regnerischen Samstagmorgen, als ich beschloss, meinen Kleiderschrank auszumisten. Ich war fest entschlossen, Platz zu schaffen. Die alten und die zu enganliegenden Klamotten mussten raus. Ich begann also mit der Triage. Ich Unterschied zwischen den Kategorien «sicher behalten», «vielleicht behalten» und «weg damit». Die weissen Plastiksäcke lagen auf dem Bett zum Füllen bereit. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass meine Kleider, in all den Jahren von mir ignoriert, eine eigene Persönlichkeit entwickelt hatten und sich nun gegen ihre Entsorgung wehrten. Plötzlich hörte ich ein leises Stöhnen, welches immer lauter wurde. «Bitte wirf mich nicht weg! Ich bin noch voll im Trend!» Mein T-Shirt konnte sprechen? Das war unmöglich! Und es blieb nicht bei einem sprechenden T-Shirt. Auch meine alten Jeans, Hemden und Pullover begannen zu protestieren. Sie flehten mich an, ihnen noch eine Chance zu geben, sich zu beweisen.?Ich versuchte, sie zu beruhigen und erklärte, dass es Zeit für Veränderung sei. Doch sie waren nicht bereit, aufzugeben. Sie bildeten eine Interessengemeinschaft und begannen, sich gegenseitig anzufeuern. Es kam zu einer kleinen Revolte in meinem Schlafzimmer? Perplex versuchte ich die Situation zu deeskalieren, indem ich ihnen versprach, sie zu spenden oder sie in die Kleiderbrocki zu bringen. Doch damit liessen sie sich nicht abspeisen. Sie wehrten sich vehement, um nicht in die Säcke gesteckt zu werden. Schliesslich kam mir eine Idee. Ich schlug vor, eine Modeschau zu veranstalten, damit sie ihre Daseinsberechtigung in meinem Schrank unter Beweis stellen könnten. Meine alten Kleider versuchten, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Sie erstrahlten in altem Glanz und versuchten, mich mit ihren einzigartigen Designs und körperbetonten Formen zu beeindrucken. Sie wehrten sich sozusagen mit Ärmeln und Hosenbeinen gegen die Entsorgung. Ich muss gestehen, den meisten von ihnen gelang es, mich zu überzeugen, dass sie noch nicht zum alten Eisen gehörten, und sie fanden den Weg zurück in ihr altes Zuhause. Nun stand ich also vor meinem immer noch prallvollen Kleiderschrank und wusste nicht, ob ich mich darüber ärgern oder ob ich stolz sein sollte. Stolz auf mein einfühlsames Herz, das sich sogar von Kleidungsstücken erweichen liess. Auf alle Fälle wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, alles Gute beim nächsten Ausmisten. Und sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt!
Andrea Gutgsell
Andrea Gutgsell ist 1965 in Samedan geboren und aufgewachsen. Heute lebt er mit seiner Familie in Sils Maria. Als leidenschaftlicher Laienschauspieler und Moderator ist er immer wieder auf Engadiner Bühnen zu sehen. Heute arbeitet er als Pfändungsbeamter. Zum Schreiben ist er eher durch einen glücklichen Zufall gekommen. «Tod im Val Fex», erschienen im Zytglogge Verlag, ist sein erster Roman.
Diskutieren Sie mit
anmelden, um Kommentar zu schreiben