Des Teufels oder Heilsbringer für Autoren und Medienschaffende, welche des Schreibens müde sind? Fakt ist: Die künstliche Intelligenz (KI) ist im (Berufs)Alltag sehr vieler Leute angekommen – längst nicht nur bei der schreibenden Zunft. Als OpenAI vor 14 Monaten seinen Chatbot ChatGPT lanciert hat, ging es gerade einmal zwei Monate, bis geschätzte 100 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer auf dessen Dienste zurückgriffen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen – im Gegenteil: Die KI-Programme werden immer besser und dringen mittlerweile in viele Bereiche unseres täglichen Lebens ein – oft ohne es zu wissen.
Was aber bedeutet das für den Redaktionsalltag bei der «Engadiner Post/Postal Ladina»? Werden in der Lokalzeitung, die sich auf die Fahne geschrieben hat, nahe bei den Leuten zu sein, auch bald Texte zu lesen sein, welche ausschliesslich von KI generiert worden sind? Braucht es uns Journalistinnen und Journalisten, die ihren Beruf mit viel Herzblut ausüben, überhaupt noch?
Das Redaktionsteam durfte im vergangenen November eine Weiterbildung beim deutschen Journalisten und Dozenten Peter Linden besuchen. Dabei kam auch die KI zur Sprache – Linden hatte im Duden-Verlag eben das Handbuch «Stilsicher schreiben» herausgebracht. Er zog einen Vergleich zur industriellen Revolution, konkret zum Töpferhandwerk. Heute wird Steingut überwiegend industriell produziert. Trotzdem konnte sich die Töpferei als Kunsthandwerk behaupten. Weil es zum einen die Leute gibt, die diesen Beruf mit Stolz und Können ausüben. Zum anderen gibt es einen Markt für handgefertigte Töpferwaren, die sich durch den individuellen Stil von der industriell gefertigten Massenware unterscheidet.
Ähnlich ist es mit eigenhändig verfassten Texten: Solange die Autorin respektive der Autor ihre oder seine subjektive Perspektive einbringen kann, wenn es ihr oder ihm gelingt, dem Text eine persönliche Note zu geben, wenn die Journalistin ein Gespräch mit ihrem Protagonisten so zu Papier bringt, dass mich der Text packt, dann haben wir einen grossen Vorsprung gegenüber der KI. Denn, so Peter Linden, der individuelle Stil lässt sich niemals vollständig in Algorithmen fassen. Oder auf den Punkt gebracht: «Stil ist eine Entmachtung durch KI.»
Trotzdem verschliessen wir uns den Vorteilen, welche die KI durchaus auch mit sich bringt, nicht. Die Redaktion der EP/PL setzt die Technologie in der Regel nur unterstützend ein. Sei es, um einen Text zu übersetzen, ein längeres Interview in einem ersten Schritt zu transkribieren oder für die Recherche. Wie mittlerweile viele andere Redaktionen auch, hat die EP/PL-Richtlinien für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz erlassen. Diese orientieren sich an der Empfehlung der Branchenorganisation Schweizer Medien. Ein Beispiel ist der zentrale Grundsatz, dass KI die zentrale Arbeit von Journalistinnen und Journalisten nie ersetzen kann. Ein anderer Grundsatz ist, dass die publizistische Verantwortung stets beim Medienunternehmen liegt, auch wenn KI zum Einsatz gekommen ist. Das vollständige Dokument «Richtlinien der EP/PL zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz» finden Sie hier:
Darum können die eingangs gestellten Fragen klar beantwortet werden: Nein, die Berichte, Reportagen, Interviews und Kommentare, welche Sie in der Zeitung lesen, werden nach wie vor von Personen geschrieben, für die Journalismus mehr als einfach ein Job ist. Und darum, ja: Uns Journalistinnen und Journalisten wird es weiterhin brauchen. Aber auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, die sich kritisch mit dem auseinandersetzen, was vor unserer Haustüre passiert. Und dabei auf die Dienste der «Engadiner Post/Posta Ladina» zurückgreifen.
Autor: Reto Stifel
Redaktion Engadiner Post
Wie geht es auf einer Redaktion zu und her? Inbesondere an einem Produktionstag? Was macht ein Redaktor/eine Redaktorin den lieben langen Tag? Und was braucht es, von der Idee bis zum vollständigen Bericht in der Zeitung? Über diese und weitere Themen lesen Sie regelmässig im Redaktionsblog der «Engadiner Post/Posta Ladina».
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