Foto: Mayk Wendt
Meine erste Reise ausserhalb Europas sollte an einen Ort führen, der bereits in mir lag. Seit ich ein Kind im Bergdorf war. Als Märchen, Traum und Vorstellung. Als das Andere, Ferne und Fremde. Wo ich jederzeit eintauchen konnte. Wie in etwas Jenseitiges vor dem Jenseits. Ein lebendiger und unersättlicher Ort. Wie der in meinem zerfledderten Buch. Voller Strassen und Menschen. Der Ort der langen Tage. Der Ort der Kunst und Literatur, die uns Trost, Hoffnung oder Unterhaltung sein kann. Manchmal Einsicht. Weit weg vom Alltag. Ein Ort, der die Macht hat, uns am Leben zu halten. Unser Leben zu retten. Tausend und eine Nacht lang, also ewig. Bagdad! Was für ein Klang! Er verband meine Sehnsucht mit dem realen Ort. Einmal wollte ich ihn begehen, Strassen und Menschen sehen. Mit ihnen reden, von ihren Speisen kosten. So sehr, dass es mich, die mit Demonstrationen nicht vertraut ist, 2003 an eine Demonstration gegen den Irakkrieg zog. Wir gingen gemeinsam um einen Brunnen. Ich war verzweifelt. Wohin nun?
Damaskus? Beirut. Jerusalem. Ruiniert, gefährlich oder unmöglich. So fern wie nie, so nah wie nie.
Wieder mit dem Teppich von der Bergstation Motta Naluns aus wegfliegen? Über den Wolken des Unterengadins gondeln? Ich war inzwischen zu schwer geworden. Also ging ich zu Fuss. Ein paar Häuser weiter. Die Gasse rauf. Diesen August. In Celerina. Auch ein Bergdorf. Da lebe ich heute. Ich folgte der alljährlichen Einladung zum "Al Nour Summer Market", wo in Marrakesch hergestellte Kleider, Blusen, Röcke und Babysachen aufliegen. Jacken für Herren, Tisch- und Bettwäsche, Gewobenes. Stoffe zum Träumen, weich, sorgfältig genäht und bestickt von Frauen mit Beeinträchtigung. Daraus strömte im sulèr des Engadiner Hauses und aus allen Räumen Zuversicht und Freude. Denn die Näherinnen und Stickerinnen werden jeden Tag an ihren Arbeitsort gefahren, bekommen einen guten Lohn, gute Behandlung und, wo erwünscht, eine Ausbildung. Alle sind mit einem ausdrucksstarken Foto und Namen auf der Homepage zu sehen. Frühstück und Mittagessen sind kostenlos. Das Unternehmen betreut ihre Kinder während der Arbeit.
Das begeistert und inspiriert. So konnte es nicht verwundern, dass an den drei Augustnachmittagen viel los war in Celerina, grosses Publikum. Mitten im Bienenstock eine strahlende Frau, die CEO von Al Nour, meine Nachbarin. Patricia Kahane. Gründerin und Leiterin des Sozialunternehmens mitten in der Medina, mitten in der Altstadt Marrakeschs. Dort steht ihre Manufaktur, ein Haus wie ein blühender Garten. Patricia Kahane und ihre Schwester erzählten. Sie legten mir eine neue Geschichte in die Hand, in die ich jederzeit eintreten kann - weg von den schlechten Nachrichten, von Kriegen und Verschattung. Eine Geschichte wie ein begehbarer Schrank, der von einem sulèr in ein Näh- und Stickatelier führt. Ich habe es im Oktober besucht. Meine erste Reise ausserhalb Europas führte zu Al Nour. Ich besuchte die schönen Frauen, die mein liebstes Kleid und meinen liebsten Rock genäht und bestickt haben sowie das weisse Tuch, das ich auf dem Foto trage. Begleitet von meinem Mann und unserem jüngsten Sohn. Zu uns gesellte sich der bekannte Fotograf Mayk Wendt aus Scuol. Das Engadin in Marrkesch. Marrakesch im Engadin. Nicht nur im August.
Damaskus? Beirut. Jerusalem. Ruiniert, gefährlich oder unmöglich. So fern wie nie, so nah wie nie.
Wieder mit dem Teppich von der Bergstation Motta Naluns aus wegfliegen? Über den Wolken des Unterengadins gondeln? Ich war inzwischen zu schwer geworden. Also ging ich zu Fuss. Ein paar Häuser weiter. Die Gasse rauf. Diesen August. In Celerina. Auch ein Bergdorf. Da lebe ich heute. Ich folgte der alljährlichen Einladung zum "Al Nour Summer Market", wo in Marrakesch hergestellte Kleider, Blusen, Röcke und Babysachen aufliegen. Jacken für Herren, Tisch- und Bettwäsche, Gewobenes. Stoffe zum Träumen, weich, sorgfältig genäht und bestickt von Frauen mit Beeinträchtigung. Daraus strömte im sulèr des Engadiner Hauses und aus allen Räumen Zuversicht und Freude. Denn die Näherinnen und Stickerinnen werden jeden Tag an ihren Arbeitsort gefahren, bekommen einen guten Lohn, gute Behandlung und, wo erwünscht, eine Ausbildung. Alle sind mit einem ausdrucksstarken Foto und Namen auf der Homepage zu sehen. Frühstück und Mittagessen sind kostenlos. Das Unternehmen betreut ihre Kinder während der Arbeit.
Das begeistert und inspiriert. So konnte es nicht verwundern, dass an den drei Augustnachmittagen viel los war in Celerina, grosses Publikum. Mitten im Bienenstock eine strahlende Frau, die CEO von Al Nour, meine Nachbarin. Patricia Kahane. Gründerin und Leiterin des Sozialunternehmens mitten in der Medina, mitten in der Altstadt Marrakeschs. Dort steht ihre Manufaktur, ein Haus wie ein blühender Garten. Patricia Kahane und ihre Schwester erzählten. Sie legten mir eine neue Geschichte in die Hand, in die ich jederzeit eintreten kann - weg von den schlechten Nachrichten, von Kriegen und Verschattung. Eine Geschichte wie ein begehbarer Schrank, der von einem sulèr in ein Näh- und Stickatelier führt. Ich habe es im Oktober besucht. Meine erste Reise ausserhalb Europas führte zu Al Nour. Ich besuchte die schönen Frauen, die mein liebstes Kleid und meinen liebsten Rock genäht und bestickt haben sowie das weisse Tuch, das ich auf dem Foto trage. Begleitet von meinem Mann und unserem jüngsten Sohn. Zu uns gesellte sich der bekannte Fotograf Mayk Wendt aus Scuol. Das Engadin in Marrkesch. Marrakesch im Engadin. Nicht nur im August.
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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