Foto: z. Vfg
Vor wenigen Tagen fuhr ich nach Luzern. RhB, SBB. Weiter mit dem Stadtbus. Eine lange Reise. Ich fuhr zu meinem Therapeuten. Wegen der rechten Schulter, der widerspenstigen. Ich informierte darüber in meinem letzten Blog-Beitrag.
Am Bahnhof Luzern nehme ich Bus 12, wie schon im November und Dezember. Ich sitze ab, neben mir eine Rotzraufzieherin und Kugelschreiberklickerin. Aber hübsche Stiefeletten in Lila. Vor uns baumelt eine kartonierte Werbung: „Sorgst du gerne für perfekte Texte? Werde Language manager mit Bachelor in angewandte Sprachen.“
Gibt es auch unangewandte Sprachen? Sprachen, die irgendwo umherirren, in der Wüste, durstig und schlecht gelaunt, nach einem Anwender suchend? Sprachen, die Autostopp machen? Bitte nimm mich mit, als Danke lege ich mich auf deine Zunge. Sprachen im Weltall? Sie wollen bestimmt entdeckt, benannt und an eine schlaue Schule geschleppt werden. Mit einem Schuss in die Luft und neuem Lehrgang werden sie freigegeben, die Studenten jubeln. Sprachen in Köpfen? Sie reden auf die Menschen ein, aber die spucken sie nicht aus. Die Sprache denkt: Ich wäre perfekt, aber diese Menschen, eigentümlich bis strohdumm.
Da eilt der unangewandten Sprache ein Bachelor aus Luzern zu Hilfe, hievt sie in Anwendung und Perfektion. Wie sehr haben sich Homer, Goethe, Kafka und Thomas Mann für perfekte Texte abgerackert, sie scheiterten kläglich. Kein Wunder, alle ohne Bachelor. Sie dachten darüber nach, am olympischen Feuer sitzend, zu Hofe, von der Frau bewacht oder im Versicherungsbüro: Porca miseria, irgendwo sitzt der perfekte Text, aber er kommt und kommt nicht raus! Wir können uns noch so sehr auf unsere sensiblen Dichterzehen stellen und zum Himmel strecken, der perfekte Text führt ein Eigenleben und entzieht sich der Anwendung. Das ist total unfair. So gebaren sie all diese unperfekten Texte. Sie konnten die Language einfach nicht managen. Die Language managte nämlich sie.
Plötzlich werde ich nervös. Der Bus 12 fährt durch unbekannte Quartiere. Als ich den Chauffeur darauf anspreche, wird er ungehalten. Ich sei komplett falsch unterwegs, also nein. Ich solle aussteigen. Das tue ich. Umsteigen. Der nächste Chauffeur ist freundlich. Seit Januar habe der Bus 20 die ehemalige 12er-Route nach Messe/Allmend übernommen. Er wünscht einen schönen Tag und lächelt. Ein perfekter Text! Und sieht nicht übel aus. Es muss der Bachelor sein.
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
Diskutieren Sie mit
anmelden, um Kommentar zu schreiben