Foto: lady_macaron
Das Leben ist kein Zuckerschlecken, manchmal zeigt es seine dunkle Seite, das Abgründige, Unverständlich-Grausame. Aber mitten in eine düstere Stimmung kann Trost einbrechen und, völlig unerwartet, Verbindendes - über alle Unterschiede hinweg. Zum Jahrestag der Ermordung von Charlie-Hebdo-Journalisten reiste ich nach Paris. Am Bahnhof Militär und Polizei, die Schnellfeuerwaffe im Anschlag, Tarnfahrzeuge. Mit dem Taxi an Notre Dame vorbei, Steinmonster spriessen wie wilde Blattern aus der Mauer. Sie haben noch nie geschwiegen über die Möglichkeiten des Bösen in der Welt, die infernalische Hässlichkeit, irgendwo lauert sie immer, hier in den Stein der Kathedrale gemeisselt. Ein Januar-Schleier über der Stadt, die Erinnerung als diffuses Grau, gegen das sich das traditionelle Mandelgebäck zum Dreikönigstag in den Schaufenstern der Bäckereien stemmt und bunte Macarons, gestapelt wie ein Schutzwall. Das leise Lachen der zierlich-blassen Kellnerin mit den ferrariroten Lippen. Die Charmestrotzende sieht aus, als sei sie vom Filmset „Frankreich, das Klischee“ abgehauen in ihren Nebenjob. Omelette, Entenleberterrine und Champagner. Schön, aber kein Trost, nirgends – bis zum Spaziergang im Jardin de Luxembourg, beim Ausgang Richtung Panthéon. Am gusseisernen Zaun eine lange Abfolge grossformatiger Fotos von Wildimkerinnen und -imkern aus allen Erdteilen, atemberaubende Aufnahmen traditioneller Ernten. Beim Betrachten ist es, als kommuniziere nicht nur das ferne, seines Honigs beraubte Bienenvolk, es ist, als kommunizierten alle Bienenvölker über Kontinente hinweg, ebenso die dargestellten Menschen auf den Fotos, die eine jahrtausendalte Tradition pflegen, aber auch die Leute, die hier und jetzt vor dem Zaun stehen, ihn andächtig abschreiten, nehmen Kontakt miteinander auf. Ohne Worte formiert sich Widerstand gegen Wut und Zerstörung, Terror, Mord. Die weltweite Honigernte als Protest, Trost und Kraft. Wer hätte das gedacht? Heitere Stimmung erfasste mich, wie beim Anblick eines Bienenhauses in Graubünden – oder beim Honignaschen in der Engadiner Küche. Im 21. Jahrhundert erstarkt das Bewusstsein für den Lebensraum der Wildbienen, ebenso hat die klassische Bienenzucht nichts von ihrem Reiz verloren. Immer mehr Menschen, auch in Grossstädten wie Paris, London und New York, wenden sich dem archaischen Faszinosum Imkerei zu, im Romanischen sprechender und umfassender apicultura genannt. Eine Tradition mit vielen Anhängern, allein im Engadin sind 113 apiculturs registriert, in Graubünden 700 Imkerinnen. Dazu kommen die, die nicht erfasst sind oder Wanderimker, die sich im Juni nach der Ernte in den tieferen Lagen mit ihrem Magazin in alpine Gefilde verschieben, weil hier die Saison später beginnt. Aber auch früher. Das Klima wird milder, die Königinnen brüten im Unterengadin bereits im Februar, früher musste der Imker erst im April – seine Kolleginnen im Oberengadin zwei Wochen späterdarauf achten, dass genug Futter da ist, damit unser Nachwuchs ganzjährig Honig schlecken kann. Und da wir jetzt in Graubünden angekommen sind: Know-how zum Thema finden die so gestärkten Kinder hier www.flugschnaisa.ch Für Erwachsene geht es nächste Woche auf dem Blog der Engadiner weiter.
Romana Ganzoni
Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.
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