Mir steht eine bedeutende Veränderung bevor. Denn ich habe meine Arbeitsstelle gekündigt und eine neue Herausforderung angenommen. Ein Jobwechsel sollte selbstverständlich mit einem Aufstieg verbunden sein. Und ich kann behaupten: Ich habe es endlich ganz nach oben geschafft und bin auf dem Gipfel angelangt. Genau gesagt auf dem 2731 m ü. M. hohen Schafberg. Dort oben, 1000 Meter über Pontresina und dem Engadiner Talboden, liegt die Segantinihütte – definitiv ein Arbeitsplatz mit einem AAA Rating. Das Panorama mit den Gletscherbergen der Berninagruppe und der Engadiner Seenplatte ist extraklasse und eines der schönsten auf der ganzen Welt. Wer es nicht glaubt, soll vorbei kommen und selber schauen. Ich habe meinen anständig bezahlten Bürojob gegen eine einfache Arbeit in einer Berghütte getauscht, bin vom Product Manager zum Hüttenbub geworden. Was ist besser? Unmengen von E-Mails beantworten oder Türme von Geschirr spülen. Zeitdruck, Multitasking und Terminstress oder in aller Ruhe das legendäre Segantini-WC reinigen. Die Augen permanent auf einen Bildschirm richten oder täglich über eines der schönsten Alpenpanoramen blicken. Beim letzten Punkt ist die Antwort offensichtlich. Und bei den anderen? Keine Ahnung. Vielleicht weiss ich es Ende Sommer. Gut möglich, dass ich keine eindeutigen Antworten finde. Klar ist, früher oder später werde ich wieder in einem Büro sitzen, auf Tasten hauen und mit Mäusen klicken. Bis es soweit ist, freue ich mich, das einfache Leben kennen zu lernen. Das bedeutet, den Arbeitsort zu Fuss und mit schwer bepacktem Rucksack zu erklimmen. Zu merken, dass Wasser nicht einfach so aus dem Hahnen fliesst. Zu lernen, wie man sich wohlfühlen kann, ohne in der ganzen Wohnung 22 Grad warm zu haben. Es sind banale Erfahrungen, die für Milliarden von Menschen schlichter und oftmals trauriger Alltag sind. Für mich ist es bloss die Wahl eines neuen Lifestyles, der Wechsel von einem Leben im Überfluss zu einem Leben mit etwas weniger Überfluss. Die Wahl zu haben, ist ein Privileg. Ich kann linke oder rechte Politiker wählen – und beide sind einigermassen korruptionsfrei. Ich kann im Supermarkt konventionell oder biologisch angebautes Gemüse kaufen – und beides versorgt mich mit wertvollen Vitaminen. Ich kann im Büro oder auf einer Berghütte arbeiten – und beides dient meiner Selbstverwirklichung. Hoch über dem Engadin zu arbeiten, bedeutet nicht nur Zeit für philosophische Ergüsse zu haben, sondern ist auch mit harter körperlicher Arbeit verbunden. Kürzlich musste die Terrasse von Schnee und Eis befreit werden, damit zum Saisonstart am 3. Juni alles bereit ist. Mit Pickel und Schaufel ging es zu Werke – was für eine Plackerei für einen schwachen Bürorücken! Aber ich habe es mir ja selbst ausgesucht.Kurzclip auf Instagram:
Franco Furger
Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.
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